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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Bank. Mr. Teague, der älteste der Lehrer, fragte, ob sie für den Tag fertig wäre.
    »Ich muß noch etwas erledigen«, sagte sie.
    »Üb deine Polyrhythmen«, riet er ihr.
    Sie verließ den Klassenraum und ging zum Bühneneingang der Festhalle. Sie wußte, daß sich Reenas Dramagruppe dort treffen würde.
    Die Festhalle war dunkel, nur die Bühne war von einigen wenigen Spots beleuchtet. Die Dramagruppe saß in einem Stuhlkreis in einer erleuchteten Ecke der Bühne und las laut Text von alten Papierskripten ab. Mit gefalteten Händen ging sie auf die Gruppe zu. Rick Fayette, ein stiller Älterer mit kurzem schwarzen Haar, machte sie als erster aus, sagte aber nichts und blickte zu Reena. Reena hielt in ihrem Text inne, wandte sich um und starrte Letitia an. Edna Corman sah sie als letzte und schüttelte den Kopf, als wäre das der Gipfel der Unverfrorenheit.
    »Hallo«, sagte Letitia.
    »Was machst du denn hier?« Es lag mehr Verwunderung als Verachtung in Reenas Stimme.
    »Ich dachte, vielleicht wollt ihr immer noch…« Sie schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nicht. Aber ich dachte, vielleicht könnt ihr mich immer noch gebrauchen.«
    »Also wirklich«, sagte Edna Corman.
    Reena legte ihr Skript beiseite und stand auf. »Warum hast du deine Meinung geändert?«
    »Ich dachte, ich würde es nicht mögen, eine alte Lady zu spielen«, sagte Letitia. »So schlimm ist es auch wieder nicht. Ich habe ein Bild meiner Urgroßmutter mitgebracht.« Sie holte eine Plastikkladde aus ihrer Tasche und öffnete sie, so daß eine von ihr gemachte Kopie des Fotos aus dem Album zu sehen war. »Ihr könnt mich so zurechtmachen. Wie meine Urgroßmutter.«
    Reena nahm die Kladde. »Du siehst wie sie aus«, sagte sie.
    »Yeah. Ungefähr.«
    »Seht mal her«, sagte Reena und hielt das Bild den anderen entgegen. Sie scharten sich um sie, reichten die Kladde von Hand zu Hand weiter und blickten verwundert drein. Selbst Edna Corman schaute es kurz an. »Sie sieht tatsächlich wie ihre Urgroßmutter aus.«
    Rick Fayette pfiff verwundert. »Du«, sagte er, »wirst eine wirklich großartige alte Lady abgeben.«
    Rutger rief sie eine Woche später unvermittelt in sein Büro. Sie saß ruhig vor seinem Schreibtisch. »Letzten Endes hast du dich der Dramaklasse angeschlossen«, sagte er. Sie nickte.
    »Aus welchem Grund?«
    Es war nicht leicht, es zu erklären. »Wegen dem, was Sie mir gesagt haben«, sagte sie.
    »Keine Reibungspunkte?«
    »Es wird schon gehen.«
    »Sehr gut. Haben sie dir eine andere Rolle gegeben?«
    »Nein. Ich bin die alte Lady. Sie werden mich mit Make-up schminken.«
    »Du hast keine Einwände?«
    »Ich glaube nicht.«
    Rutger schien etwas Falsches daran zu suchen, konnte aber nichts finden. Mit einem schwachen argwöhnischen Lächeln bedankte er sich für ihr Kommen. »Komm wieder, wann immer es dir recht ist«, sagte er. »Berichte mir, wie es läuft.«
     
    Die Gruppe traf sich jeden Freitag, eine Stunde nach ihrem Individualorchester-Kurs. Letitia traf Vorbereitungen für heimische Keyboardübungen. Nach einer Lesung und einer halben Stunde der Befragung erhielt sie die Erlaubnis der Beraterin der Dramagruppe, Miss Darcy, einer ledigen Nicht-VEK, die nur selten in den Flurbereichen anzutreffen war. Miss Darcy schien altmodisch zu sein und redete jeden ihrer Schüler entweder mit ›Mister‹ oder mit ›Miss‹ an. Aber sie hatte Dramen- und Theatererfahrung. Sie war die älteste der sechs NG-Lehrer der Schule.
    Reena blieb während des Vorsprechens bei Letitia und hatte ein starkes Argument für ihre späte Aufnahme, da die Besetzung mit Rick Fayette als ältere Frau nicht gut klappte. Fayette war genauso begierig darauf, die Rolle loszuwerden; er hatte noch einen Part, und der Gedanke, zwei Charaktere in diesem Stück zu spielen, bereitete ihm Sorge.
    Fayette gestand seine Dankbarkeit an ihrem zweiten Freitagstreffen ein. Er stellte sie einem elfengleichen, ansehnlichen, großäugigen, schlanken Gruppenmitglied, Frank Leroux, vor. Leroux wäre viel zu schüchtern, um auf die Bühne zu treten, sagte Fayette, aber er wäre für das Make-up zuständig. »Er ist ganz schön verblüffend.«
    Letitia stand nervös vor dem sie musternden Leroux. »Du hast ein wirkliches Gesicht«, sagte er leise. »Darf ich dich berühren, um deine Konturen zu erkunden?«
    Letitia kicherte und wurde unvermittelt ernst, verlegen. »Okay«, sagte sie. »Du ziehst Linien und trägst Schatten auf?«
    »Viel mehr als das«, sagte

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