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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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es.«
    »Bleiben Sie nicht zu lange«, sagte sie.
    »Werde ich nicht«, murmelte er.
     
    Die Limousine wartete in der Garage auf ihn – weiß und schön, träge, schlank und schnell zugleich. Eine Chauffeurin wartete diesmal nicht auf ihn. Die Tür öffnete sich von selbst, und er stieg ein. Die Tür schloß sich hinter ihm, und er lehnte sich, das Kästchen in der Hand, steif in den Ledersitzen zurück. »Bring mich nach Hause«, sagte er. Die Glastrennwand und die Scheiben rundherum verdunkelten sich mit einem undurchsichtigen, rauchigen Gold. Er spürte das Gefühl einer gleitenden Bewegung. Wie wäre es, stets solche Macht zu besitzen?
    Aber es war nicht an ihr, die Macht zu geben.
    Oliver erreichte das Apartmentgebäude in einem Blizzard wirbelnden Schnees. Schnee lag auf der Straße und bedeckte den Gehsteig, er war etwa dreißig Zentimeter hoch. Sleepside steckte in tiefstem Winter. Oliver stieg aus der Limousine und betrat die Stufen. Die Kälte berührte ihn trotz seiner leichten Bekleidung kaum. Er war umgeben von Miss Parkhursts Magie.
    Denver war gerade in der Küche und dabei, grüne Bohnen in einer Pfanne zu dünsten, als Oliver durch die Tür trat, wobei sich die Scharniere vor ihm von selbst öffneten. Oliver hielt im Eingang zur Küche inne. Denver starrte ihn an, das Gesicht schlaff, zu überrascht, um etwas zu sagen.
    »Wo ist Mama?«
    Yolanda hörte seine Stimme im Wohnzimmer und schrie.
    Reggie traf ihn mit offenen Armen in der Diele und lächelte breit. »Gottverdammt, kleiner Bruder! Du bist weggekommen?«
    »Wo ist Mama?«
    »Sie ist in ihrem Zimmer. Sie fühlt sich nicht gut.«
    »Sie ist krank«, sagte Oliver und drängte sich an seinem Bruder vorbei. Yolanda stand vor Mamas Tür, als wolle sie Oliver nicht eintreten lassen. Sie saugte an der Unterlippe und sah verängstigt aus.
    »Laß mich vorbei, Yolanda«, sagte Oliver. Er richtete beinahe das Kästchen auf sie, zog es zurück, fürchtete, daß er damit was anrichten mochte.
    »Du hast Mama krank gemacht«, quiekte Yolanda, aber sie trat beiseite. Oliver drängte sich durch die Tür in Mamas Zimmer. Sie saß aufrecht im Bett, ihr Gesicht gezeichnet und eingefallen, aber ihre Augen tanzten vor Freude. »Mein Junge!« Sie seufzte. »Mein guter Junge.«
    Oliver setzte sich neben sie, und sie umarmten sich heftig. »Bitte verlaß mich nicht noch einmal«, sagte Mama; ihre Stimme wurde von seiner Schulter gedämpft. Oliver stellte das Kästchen auf ihren kleinen Nachttisch und weinte sich an ihrer Schulter aus.
     
    Der Tag nach Olivers Rückkehr. Denver stand langbeinig am Fenster, seine Hände steckten in durchgescheuerten Hosentaschen. Er schaute mit müden Augen auf den Schnee. »Es ist zu kalt, um irgendwohin zu gehen«, sann er.
    Reggie saß mit nachdenklichem Gesicht im Stuhl ihres Vaters. »Ich habe gehört, was er zu Mama gesagt hat«, sagte er. »Diese Hure hat unseren kleinen Bruder in einer Limousine hierher zurückgeschickt. Einer großen weißen Limousine. Siehst du sie dort draußen?«
    Denver spähte hinunter auf die Straße. Eine weiße Limousine wartete am Rinnstein, nicht einmal von Schnee bedeckt. Eine winzige weiße Locke erhob sich von ihrem Auspuff. »Sie ist immer noch da«, sagte er.
    »Hast du gesehen, was er hatte, als er hereinkam?« fragte Reggie. Denver schüttelte seinen Kopf. »Ein goldenes Kästchen. Sie muß es ihm gegeben haben. Ich wette, daß, wer auch immer dieses Ding besitzt, Miss Belle Parkhurst besuchen kann. Wetten?«
    Denver grinste und schüttelte erneut den Kopf.
    »Es würde nicht allzu kalt sein, wenn wir die Limousine hätten, nicht wahr?« sagte Reggie.
     
    Oliver brachte seiner Mama Hühnersuppe und eine halb verfaulte, aber sorgfältig geschnittene Orange. Er schüttelte ihr Kissen für sie auf und hieß sie schweigen, bis sie gegessen hatte. Sie lächelte matt und selig und ließ ihn ihr behilflich sein. Als sie gegessen hatte, legte sie sich zurück und schloß die Augen. Tränen sammelten sich und liefen ihr über die Wangen. »Ich hatte solche Angst um dich«, sagte sie. »Ich wußte nicht, was sie tun würde. Sie schien anfangs so nett. Ich sah sie nicht. Nur ihre Stimme, die mich über den Sicherheitssummer einlud, mich Platz nehmen hieß, um meine Füße ausruhen zu lassen. Ich wußte, wo ich war… War es schlecht von mir, dort zu bleiben, obwohl ich es wußte?«
    »Du warst müde, Mama«, sagte Oliver. »Übrigens, Miss Parkhurst ist gar nicht so übel.«
    Mama blickte ihn

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