Tangenten
Kartierung verglichen. Was wir gefunden haben, ist faszinierend.
Einst gab es Linien auf dem Mars, Streifen wie Kanäle. Bis vor einem Jahrhundert hätte sie in einer klaren Nacht jedes gute Teleskop auf der Erde einem scharfäugigen Beobachter offenbart. Als die Dekaden vorüberzogen, war es nicht die steigende Fähigkeit von Astronomen und die Qualität der Instrumente, die diese Linien ausradierten, sondern das Ende des letzten Jahrhunderts des Anno Fecundis. Ist mein Latein richtig? Ich habe kein Wörterbuch, um nachzuschauen.
Mit dem Ende des Fruchtbaren Jahres, das einige tausend Jahrhunderte andauerte, kamen die ersten rauhen Sandwinde und das Absinken der marsianischen Jetströme. Sie trieben Sand auf und scheuerten.
Die Strukturen müssen Märchenpalästen geähnelt haben, bevor sie weggefegt wurden. Einmal habe ich auf den Philippinen einen Marktplatz voller leerer Essigflaschen gesehen, die aus geschmolzenen Coca-Cola-Flaschen gemacht waren. Sie benutzten solch dünnes Glas, daß man es mit einem Tippen des Daumennagels an der richtigen Stelle zerbrechen konnte – aber sie konnten leicht hundert Liter Flüssigkeit halten. Diese Kolonien müssen ausgesehen haben wie Tausende von Traubenansammlungen aus dünnem Essigglasflaschen, dunkel wie Smaragde, auf Spinnwebstelzen plaziert und genährt von Wasser, das durch Leitungen so groß wie die römischen Aquädukte geleitet wurde. Wir untersuchten ein größeres Areal und fanden unter rotem Sand begrabene Fragmente über einen Streifen von beinahe fünfzig Kilometern Breite. Aus einem Kilometer Entfernung ist der Rand der Struktur noch zu erkennen, wenn man weiß, wo man hinschauen muß.
Keine der zwei vorherigen Expeditionen hat sie gefunden.
Sie gehören uns.
Link glaubt, diese Streifen erstreckten sich rund um den Planeten. Vor dem Sandsturm erwies Willys Infrarotkartierung genau dies. Wir konnten Ruinengürtel an beinahe allen Orten auffinden, die Lowell kartiert hat – selbst die Zentren, von denen einige seiner Nachfolger sagten, er hätte sie gesehen. Aquädukte umlaufen den Planeten wie die Rippen auf einem Basketball, treffen auf schwarze Teiche von Meeresgröße, die mit glasigen Membranen bedeckt sind. Die Teiche sind angefüllt mit einer dünnen purpurnen Flüssigkeit, eine Art Harz, das, in der Sonne aufgewärmt, Fotosynthese betreibt. Das Harz wurde unter Hochdruck durch Gewebe- und Glasrohre gepumpt und nährte die pflanzenartigen Kolonien, die in den Flaschen lebten.
Sie besaßen wahrscheinlich keine wie auch immer geartete Intelligenz. Aber ihre architektonischen Leistungen lassen unsere trotzdem armselig erscheinen.
Sandstürme und das rapide trocknende Klima der letzten Jahrhunderte reißen immer noch an den zerbrechlichen Gebäuden. Fünfundneunzig Prozent davon sind bereits zerfallen und der Rest ist zu beschädigt, um sicher untersucht werden zu können. Sie sind immer noch wunderbar. Auf dem Rand der Ebene der zerbrochenen Flaschen und zerschmetterten Masten stehend, die sich bis zum Horizont ausdehnt –, wir können nicht anders, als uns sehr jung und sehr klein zu fühlen.
Vor einer Woche entdeckten wir, daß sie tief im rotorangefarbenen Sand vergrabene Sporen hinterlassen haben, härter als Kokosnüsse und etwa in der Größe von Medizinbällen.
Vor sechs Tagen erfuhren wir, daß der Mars in allen seinen Jahreszeiten Nachwuchs hervorbringt. Als wir nach Eislinsen gruben, die Willy lokalisiert hatte, stießen wir auf ein Lager von ledrigen Eierschalen in Höhlen, die von einem lichtdurchlässigen organischen Zement überschwemmt worden waren. Wir hatten noch nicht die Zeit, gründliche Untersuchungen durchzuführen. Wir schafften es, einige Proben des Zements zu nehmen – dabei gewissenhaft vermeidend, die Eier zu stören –, und räumten die Stelle, bevor unsere Tanks vollständig geleert waren. Während wir die Proben herausschnitten, bemerkten wir, daß hexagonale Muster in die Wände gemeißelt waren, ob als strukturelle Hilfe oder Schmuck, können wir nicht sagen.
Gestern, das heißt, vor etwa sechsundzwanzig Stunden, sahen wir etwas, das, wie wir glauben, Brutlinge sein müssen: die Wintertruppen, fünf oder sechs von ihnen, die am Rande des Plateaus gingen, nicht mehr als weiße Flecken von unserer Position im Lander aus.
Wir fuhren mit dem Sandschlitten fünf Kilometer vom Landepunkt fort, um das Lager noch einmal zu untersuchen und um uns das anzusehen, was Willys Kartierung als letztes aufrecht stehendes
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