Tango der Leidenschaft
leise. Sie sah ihn schon vor sich, diesen Ring. Sicher hatte er einen riesigen, protzigen Rubin in der Mitte mit vielen Diamanten drumherum.
Rafael nahm ihre Hand und betrachtete sie. „Du hast schlanke Finger. Vielleicht muss ich ihn enger machen lassen. Aber das dürfte nicht lange dauern …“
Isobel zog rasch ihre Hand zurück. Am liebsten hätte sie den Fahrer angewiesen, sofort umzukehren. Sie durchfuhren jetzt die Vororte von Buenos Aires. Wieder stieg in ihr das gleiche Gefühl auf wie beim Verlassen des Flugzeugs. Sie presste die Hände im Schoß ineinander. Was war nur mit ihr los?
Es dauerte nicht lange, und sie bogen eine bekannte Straße ein. Ihre Straße. Leise öffnete sich das Tor. Als sie die Auffahrt zu ihrem Elternhaus hinauffuhren, sah Isobel ihre Mutter und ihren Vater schon am Eingang stehen, umgeben von der ganzen Dienerschaft.
Etwas wie Resignation stieg in ihr auf. Schweren Herzens musste sie sich eingestehen, dass sie das Richtige tat. Ihre Eltern würden es nicht überleben, diesen ganzen Besitz zu verlieren. Auch wenn sie kein sehr gutes Verhältnis zu ihnen hatte, es waren ihre Eltern, und sie liebte sie.
Rafael half ihr galant aus der Limousine.
Danach ging alles in einem einzigen Begrüßungstaumel unter. An einiges konnte sie sich später noch erinnern: Wie besitzergreifend Rafael den Arm um sie gelegt hatte und was für unterschiedliche Gefühle das in ihr hervorrief. Und wie erleichtert und dankbar ihr Vater aussah. Dann waren da auch noch die falschen Freudentränen ihrer Mutter gewesen, die sie über die Heimkehr der verlorenen Tochter vergoss.
Später verließ Rafael das Haus, und sein Wagen verschwand die Auffahrt hinunter. Einen Moment lang erwachte in Isobel ein eigenartiges Gefühl der Verlorenheit. So, als wäre ihr ein Halt genommen worden. Man führte sie ins Haus, und die Tür fiel hinter ihr zu. Sie schloss die Augen. Ihr war, als hätte es die letzten drei Jahre gar nicht gegeben.
Die folgenden Wochen vergingen rasend schnell. Isobel hatte das Gefühl, von einem Wirbelwind davongetragen zu werden. Jetzt stand sie am Fenster ihres Schlafzimmers und sah in die Nacht hinaus. An ihrem Finger glitzerte Rafaels Verlobungsring. Wie versprochen, hatte er ihn ihr damals in Gegenwart ihrer Eltern überreicht. Zu Isobels Überraschung war er ganz anders, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Er trug einen erlesenen kleinen rosa Diamanten, der im Stil des Art déco von weißen Diamanten eingefasst war.
Dazu passte er auch noch perfekt, worüber Rafael nicht im Geringsten erstaunt zu sein schien. Er grinste nur selbstgefällig und ließ seine Hand viel zu lange auf der ihren ruhen.
Seither hatten sie sich nur selten gesehen und wenn, dann immer in Gegenwart anderer. Vor ein paar Tagen musste er dann in geschäftlichen Angelegenheiten in die Staaten fliegen.
Die Gesellschaftsseiten der Zeitungen berichteten inzwischen von fast nichts anderem mehr als ihrer bevorstehenden Hochzeit. Die Artikel weckten bei Isobel ein fast zwanghaftes Interesse. Durch sie erfuhr sie auch den Grund von Rafaels USA-Reise. Es ging um die Übernahme eines bankrotten Unternehmens, dessen Arbeiter fast ausschließlich illegale argentinische Einwanderer waren. Zu Hause hatten sie wegen der Wirtschaftskrise keinen Job finden können. Man vermutete nun, dass Rafael diese Illegalen entlassen und die Firma mit legalen amerikanischen Arbeitern wieder aufbauen würde. Isobel wurde ganz schlecht bei dem Gedanken. All diese armen Menschen würden wegen Rafael in ihr altes Elend zurückkehren müssen.
Aber kaum hörte sie seine Stimme am Telefon – und er rief sie jeden Tag an – konnte sie nicht mehr klar denken. Wieso fühlte sie sich von diesem unmoralischen und rücksichtslosen Menschen nur so angezogen?
„Ich freue mich darauf, mit dir vor dem Altar zu stehen“, sagte er während eines Gesprächs.
„Vielleicht bittest du mich schon in einem halben Jahr um die Scheidung“, hatte Isobel erwidert. „Das dürfte dann auch nicht gut sein fürs Geschäft.“
„Eine Scheidung wird es nie geben“, war seine knallharte Antwort gewesen.
Der Hochzeitstag war gekommen. „Deine Haare, Isobel“, jammerte ihre Mutter in schrillen Tönen. „Wie konntest du sie nur abschneiden lassen!“
Isobel erwiderte nichts, wohl wissend, dass ihre Mutter gar keine Antwort erwartete. Sie stand vor dem Spiegel, und während drei Frauen an ihrem Hochzeitskleid herumzupften, fühlte sie sich seltsam abwesend.
Das
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