Tango der Leidenschaft
geliebt.“
Sie spürte die neugierigen Blicke ihrer Schüler. Mit zitternden Fingern suchte sie eine neue CD heraus. Die Musik von Carlos di Sarli erklang. Wie unter Schock drehte sie sich zu Rafael um, der sie fragend ansah.
„Und was tanzen wir?“
„ Ochos und sacadas .“
Er nickte. Wenn sie jetzt noch länger zögerte, war die Musik zu Ende. Ihre Schüler fragten sich sicher schon, warum ihre Lehrerin sich so seltsam benahm, und wer dieser eigenartige Fremde war. Sie stellte sich in Tanzposition auf und schloss die Augen, als Rafael den Arm um sie legte. Im gleichen Moment schienen sich Raum und Zeit aufzulösen.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, lehnte sich an ihn und Rafael begann gekonnt zusammen mit ihr die angekündigten Schritte zu zeigen.
Isobel musste sich eingestehen, dass er wie ein professioneller Tänzer tanzte, und sie überließ sich ganz seiner Führung. Obwohl sie schon mit vielen Männern getanzt hatte, verspürte sie zum ersten Mal die Erotik des Tangos, und sie wünschte sich, Rafael würde sie nicht so eng halten. Ihre Köpfe wandten sich gemeinsam in die gleiche Richtung, ihrer knapp unter seinem Kinn – sie waren das perfekte Paar.
Die Art, wie er sie hielt, der enge Körperkontakt, das alles verwirrte Isobel immer mehr. Wäre sie keine so gute Tänzerin gewesen, sie wäre sicher über die eigenen Füße gestolpert.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie merkte, dass die Musik zu Ende war. Hastig löste sie sich von Rafael. Ihre Schüler standen da und starrten sie mit offenem Mund an. Isobel wollte lieber nicht wissen, warum.
Dann stürzten alle auf sie zu und wollten sich von ihr verabschieden. Gerührt nahm sie die kleinen Geschenke in Empfang, die einige mitgebracht hatten. Aber inmitten all der Umarmungen und der vielen guten Wünsche für die Ferien vergaß sie keine Sekunde lang den Mann, der lässig an der Wand lehnte und auf sie wartete.
War er gekommen, um sie nach Hause zu holen?
Isobel zog sich in dem winzigen Duschraum neben dem Studio um und ging dann zurück in den Übungsraum. Es war kein böser Traum. Rafael stand leider immer noch da. Sie schämte sich etwas wegen ihres alten, kurzen Sommerkleids. Weil es schon am Morgen so unerträglich heiß gewesen war, hatte sie einfach die leichtesten Sachen angezogen, die sie gerade finden konnte. Neben Rafaels perfektem Outfit kam sie sich jetzt wie eine Landstreicherin vor.
Als er sie jetzt, die Hände in den Hosentaschen, von oben bis unten musterte, begann ihr Herz unwillkürlich schneller zu schlagen.
Er deutete auf einige in Geschenkpapier gewickelte Päckchen. „Wissen deine Schüler, dass du in zwei Wochen Geburtstag hast?“ Wie selbstverständlich war er wieder in das respektlose Du übergegangen.
„Nein. Wie alle hier mache auch ich im August Urlaub. Einige Schüler bringen Geschenke mit, um sich bei mir für den Unterricht zu bedanken.“
Immer noch betrachtete er sie mit diesem durchdringenden Blick. Nervös stopfte Isobel ihre Sachen in einen kleinen Rucksack.
Dann gab sie sich einen Ruck, holte tief Luft und drehte sich zu Rafael um. „Warum sind Sie hier, Señor Romero?“
Seine dunklen Augen schienen sie durchbohren zu wollen. „Du weißt sehr gut, warum ich hier bin. Und es heißt nicht Señor Romero. Es heißt Rafael .“
Isobel umklammerte ihren Rucksack. Selbst jetzt wollte sie die Wahrheit nicht akzeptieren. „Ich bin aber nicht …“
Er schnitt ihr das Wort ab. „Wir werden das nicht hier besprechen. Um 19 Uhr holt mein Wagen dich ab und bringt dich in mein Hotel.“
Isobel wurde schwindelig. „Woher wollen Sie eigentlich wissen, dass ich nicht schon etwas vorhabe? Vielleicht bin ich ja mit Freunden verabredet? Wenn Sie glauben, Sie könnten einfach hier auftauchen und mich aus meinem Leben reißen …“
Rafael trat an sie heran, und sie musste all ihren Willen aufbringen, um nicht vor ihm zurückzuweichen. Unter seinem Blick begann ihre Haut zu prickeln.
„Du wusstest sehr genau, dass dieser Tag kommen würde. Und du kannst nicht behaupten, ich hätte dich nicht deine Unabhängigkeit genießen lassen. Ich habe für heute Abend einen Tisch reserviert, und du wirst zum Dinner kommen.“
Während Isobel immer noch mit ihrer Verblüffung über sein unglaublich arrogantes Benehmen kämpfte, hatte er schon ihren Rucksack geschultert und führte sie, die Hand an ihrem Ellbogen, aus dem Studio. Als wäre es das Normalste der Welt, nahm er ihre Schlüssel und schloss hinter ihnen
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