Tango der Leidenschaft
…“
Isobel korrigierte die Haltung des Paares und warf prüfende Blicke auf die anderen Tänzer ihrer Tangoklasse.
Die Arbeit mit ihren Schülern füllte sie voll aus. Aber ganz vergessen hatte sie Don Rafael Ortega doch nicht. Dieser Kuss! Selbst jetzt während des Unterrichts wurde ihr ganz heiß, als sie sich daran erinnerte. Sie lebte in einer der faszinierendsten Städte der Welt und ging mit interessanten Männern aus, aber einen solchen Kuss hatte sie seither nicht noch einmal bekommen.
Unwillkürlich verglich sie jeden Mann mit Rafael, und leider hielt keiner dem Vergleich stand. Es war, als hätte er in jener Nacht einen Zauber über sie gelegt. Und dafür hasste sie ihn.
Anfangs war sie jeden Augenblick darauf gefasst gewesen, Rafael zu begegnen. Jetzt hatte sie sich endlich beruhigt und zuckte nicht mehr zusammen, wenn jemand ihr unerwartet die Hand auf die Schulter legte.
Sie schüttelte unwillig den Kopf. Wieso musste sie immer wieder an diesen arroganten, reichen Typen denken?
Eine leise innere Stimme sagte ihr, dass sie eigentlich sehr oberflächlich urteilte. Aber Isobel wollte nicht auf sie hören. Nichts konnte sie von ihrer einmal gefassten Meinung abbringen. Dieser Mann war genauso unmoralisch und habgierig wie all die anderen Kerle mit viel Geld. Wie er sie damals gemustert hatte! Als wäre sie eine Zuchtstute, die er kaufen wollte. Das allein sprach doch Bände!
Schon nach einigen Monaten in Paris war die ganze Heiratsgeschichte nur noch ein böser Traum für sie gewesen. Bis vor ein paar Wochen. Die unerwartete Freundlichkeit ihrer Mutter am Telefon hatte Isobel sofort misstrauisch gemacht. Seit ihrem Entschluss, nach Paris zu gehen, herrschte ein ziemlich gespanntes Verhältnis zwischen ihnen. Dass ihre Mutter jetzt am Telefon so seltsam vergnügt klang, konnte nur das Schlimmste bedeuten. Und in zwei Wochen war ihr einundzwanzigster Geburtstag. Ihr wurde bei dem Gedanken daran ganz übel.
Die Musik war zu Ende. Isobel klatschte in die Hände und trat vor ihre Schüler.
„Wir sind fast fertig. Ich will euch jetzt nur noch zeigen, wie man diese Schritte beim Tanzen miteinander verbindet. Dazu brauche ich jetzt aber einen Freiwilligen …“
Sie stöhnte innerlich. Zu schade, dass ihr Tanzpartner José krank war. Keiner der Männer war wirklich gut genug zum Vortanzen. In dem Moment merkte sie, wie sich die Aufmerksamkeit ihrer Klasse auf die Studiotür hinter ihr richtete. Sie spürte ein Kribbeln im Nacken. Noch bevor sie sich umdrehte, wusste sie, wen sie dort erblicken würde.
Isobels Anblick traf Rafael wie ein Schlag. Die Fotos wurden von der Wirklichkeit bei Weitem übertroffen.
Knielange Leggins und ein Top mit dünnen Trägern betonten ihre schlanke Tänzerinnenfigur. Sie trug Tanzschuhe, die für den Unterricht geeigneter waren als die hochhackigen Pumps, die sonst beim Tango getragen wurden. Aber Rafael konnte sich vorstellen, dass diese aufregend langen Beine in Schuhen mit eleganten hohen Absätzen noch atemberaubender wirkten.
Sie sah einfach hinreißend aus.
Isobel wich alle Farbe aus dem Gesicht. Am liebsten hätte sie irgendwo nach einem Halt gesucht.
„Brauchen Sie einen Tanzpartner? Ich stehe gerne zur Verfügung“, meinte er lässig.
Sie war völlig verwirrt. Trotzdem entging ihr nicht, dass die Blicke ihrer Schüler neugierig von ihr zu Rafael wanderten.
„Um die Schritte zu demonstrieren“, erklärte Rafael, als hätte sie ihn nicht verstanden. Er benahm sich, als wäre es völlig normal, hier an ihrem Arbeitsplatz auf der anderen Seite der Welt aufzutauchen.
Gelassen streifte er sein Jackett ab und stand in weißem Hemd und schwarzer Hose da. Augenblicklich schien bei ihren Schülerinnen ein gewisses weibliches Interesse zu erwachen. Und das riss Isobel aus ihrer Erstarrung.
„Nein, ist schon in Ordnung. Ich werde …“ Während sie sich suchend umblickte, überlegte sie krampfhaft, wen sie um Gottes willen zum Partner nehmen sollte. Ihr Blick blieb an Marc hängen. Der wurde feuerrot und sah sie gequält an. Nein, sie würde ihn in zu große Verlegenheit bringen. Sie warf einen abschätzenden Blick auf Rafael, der selbstgefällig lächelnd mit verschränkten Armen dastand.
„Können Sie denn Tango tanzen?“
„Ich bin Argentinier. Natürlich kann ich Tango tanzen“, antwortete er herablassend. „Ich tanze, seit meine Großmutter mich und meinen Bruder als Kinder zu den milongas mitnahm. Diese traditionellen Tanzveranstaltungen haben wir
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