Tante Dimity und das verborgene Grab
komisch?«
»Na, so.« Sie ging an mir vorbei, den Kopf gesenkt, die Schultern vorgebeugt.
Verwirrt sah ich sie an. Dann fiel der Groschen. »Wickeltasche«, sagte ich und ließ eine Schulter hängen. »Spielzeugtasche«, fuhr ich fort und ließ die andere hängen. »Verpflegung und Erste Hilfe.« Ich wölbte die Arme vor mir, als ob ich einen dicken Mann nachahmen wollte, und blieb stehen, doch dann warf ich die Arme in die Luft und drehte mich im Kreis. »Sieh mich an!
Jetzt bin ich schwerelos! Wer ist als Erster bei der Brücke …«
Es waren nur fünfzig Meter, aber als Emma und ich ankamen, waren wir beide schweißgebadet. Sie schleuderte die Gummistiefel von den Füßen, ich die Turnschuhe, dann kämpften wir aneinander gelehnt mit unsren Söckchen. Anschließend krempelten wir die Hosenbeine hoch und setzten uns nebeneinander auf die Holzbrü
cke, ließen die Füße ins Wasser baumeln und genossen den kühlen Lufthauch, der von dem flachen, schnell fließenden Bach aufstieg. Harn stürzte sich sofort hinein und platschte das Bachbett entlang, seinen Schwanz wie eine nasse Fahne schwenkend, bis er nicht mehr zu sehen war.
»Ich hatte schon fast vergessen, wie es sich anfühlt, unbelastet von Schulterriemen zu sein«, sagte ich, als ich wieder zu Atem gekommen war.
»Du solltest mehr hinausgehen«, meinte Emma. Auf die Hände gestützt, lehnte sie sich zurück. »Und wie ist es dir gestern ergangen? Bill erzählte Derek, dass du auf dem Dorfplatz nach Tatverdächtigen suchtest.«
Aufmerksam hörte Emma zu, als ich ihr von Sally Pynes aufrührerischem Alleingang erzählte, von Christine Peacocks plötzlicher Sauberkeitskampagne, von Katrina Grahams übertriebenem Pflichteifer ihrem Chef gegenüber und von Adrians Plänen bezüglich eines Museums in der fernen Zukunft.
»Findest du nicht auch, dass sie alle, Sally, Chris, Katrina und Adrian, als Verdächtige in Frage kommen?«, schloss ich. »Sie alle hätten einen guten Grund, das GladwellSchriftstück verschwinden zu lassen.«
»Vermutlich.« Emma schob ihre Brille hoch.
»Einige der Motive könnten sich sogar überschneiden. Zum Beispiel hätten Sally und Christine beide ein Interesse daran, dass Adrian ein Museum baut, das die Touristen anlockt. Sie könnten das Dokument gestohlen haben, um ihn hier zu halten.« Sie schaufelte mit den Zehen Wasser hoch. »Ich glaube, ich könnte auch Katrina Grahams Motiv verstehen. Damals im MIT war ich auch schwer in meinen Tutor verknallt.«
»Siehst du? Katrina hätte also das Dokument stehlen können, um die Interessen ihres Professors zu schützen.«
»Ich hätte für Professor Layton alles geklaut«, sagte Emma mit einem wehmütigen Seufzer,
»aber Professor Layton hätte niemals Beweise unterdrückt, um ein Projekt am Leben zu erhalten. Hältst du Adrian Culver für so skrupellos?«
»Schwer zu sagen. Wir sind uns erst zwei Mal begegnet, und das unter merkwürdigen Umständen.« Ich blickte Emma an. »Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?«
Sie sah weg, und um ihre Mundwinkel spielte ein kaum wahrnehmbares Lächeln. »Ja«, sagte sie, »daran glaube ich allerdings.« Sie drehte an ihrem Trauring. »Warum fragst du?«
»Weil Adrian einen Blick auf Francesca warf, und da war es um ihn geschehen. Sie behandelte ihn wie Dreck, aber das war ihm egal. Sie hätte ihm die Zehen platt walzen können, und er hätte sich noch entschuldigt, dass er sich so ungeschickt hingestellt hat.«
»Warum war sie denn so abweisend zu ihm?«
»Sie will nicht, dass noch mehr Fremde nach Finch ziehen«, sagte ich, »und meint, dass Adrian den Pfarrer überrumpelt hat. Außerdem hat sie etwas gegen Archäologie – sie findet es unpassend, Dinge auszugraben, die längst verstorbenen Menschen gehört haben. Ich glaube, diese Ansicht hat sie von ihrem Vater geerbt.« Einen Moment horchte ich auf das Wasser, wie es gemächlich über die glatten Steine plätscherte.
»Über Adrian kann ich nur sagen, dass ich ihn für aufrichtig halte. Er schien über die Riesenausrüstung, die seine Studenten eingepackt hatten, ehrlich überrascht zu sein, und als ich ihn auf das CulverInstitut ansprach, war er sprachlos.«
Emma schürzte die Lippen. »Von Sally Pyne weiß man ja, dass sie aus einem Krümel Information ein ganzes Brot machen kann. Wir wissen nicht genau, was sie in Katrinas Zimmer fand, oder?«
»Das sollte leicht genug herauszufinden sein«, sagte ich. »Niemand bekommt Finanzmittel für ein so großes Projekt wie ein
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