Tante Dimity und das verborgene Grab
habe ich Ihnen als kleines Dankeschön für Ihre Hilfe bei der Gemeindechronik mitgebracht. Ich hoffe, Sie nehmen sie auch als Entschuldigung für mein Eindringen an.«
»Schließlich habe ich Sie ja ins Haus gezogen«, erinnerte Mr Wetherhead mich und errötete leicht über seine eigene Vermessenheit. »Ich musste die Tür schließen, ehe der Zug pfiff. Meine Mutter hat immer sehr streng darauf geachtet, dass ich mit meinem Läuten und Pfeifen niemand störe.«
Ich tat so, als machte ich Notizen, als Mr Wetherhead mir eine kurze Zusammenfassung seines bisherigen Lebens gab. Wir alle haben diese Erinnerungen, dachte ich, während ich seine dürftig bestückten Küchenregale betrachtete. Unsere Köpfe sind gefüllt mit fertigen Anekdoten, schnell und einfach zur Hand, wie Suppe aus der Tüte. Es bedarf lediglich eines Zuhörers, und schon drängen sie hervor. Jedoch sind sie nicht immer so traurig wie die von Mr Wetherhead.
Mrs Wetherhead hatte sich für die Vorlieben ihres Sohnes nie sonderlich interessiert. Im Gegenteil machte sie sich über seine Leidenschaft für Eisenbahnen lustig und fand seinen Entschluss, bei der Bahn zu arbeiten, lächerlich. Als er bei einem Sturz von einem fahrenden Güterwaggon einen komplizierten Beckenbruch erlitt und danach seinen Beruf aufgeben musste, sagte sie, es sei höchste Zeit, dass er erwachsen würde und aufhöre, mit Modelleisenbahnen zu spielen.
»Ich fürchte, ich enttäuschte sie wieder.« Mr Wetherhead stellte seine Tasse ab und ließ sich mühsam auf den anderen Stuhl nieder. »Aber als ein Onkel von mir starb, hinterließ er mir dieses Haus. Sobald ich wieder gehen konnte, zog ich hierher und brachte meine Sammlung an Modelleisenbahnen mit.«
»Es ist wirklich schade, dass Finch keinen Bahnhof hat«, bemerkte ich.
»Finden Sie?« Mr Wetherhead füllte meine Tasse mit duftendem Kamillentee. »Meine Mutter hat nie Auto fahren gelernt, wissen Sie, deshalb war es schwierig für sie, mich hier zu besuchen. Sie war immer von der Bahn abhängig.« Er nahm eine Zitronenstange und betrachtete sie nachdenklich. »Sie starb letztes Jahr, Gott hab sie selig.«
Mr Wetherhead, überlegte ich, mochte an ein verschrecktes Kaninchen erinnern, aber er hatte etwas von dem eisernen Willen seiner Mutter geerbt. Schließlich konnte es für einen schüchternen Mann wie ihn nicht einfach gewesen sein, sich aus den Klauen dieser nörgelnden alten Frau zu befreien, aber immerhin hatte er es schließlich geschafft. Mit Bewunderung und Respekt sah ich ihn an, und auch mit Dankbarkeit, denn er hatte mich daran erinnert, was für eine Macht eine Mutter – im Guten wie im Bösen – über das Leben ihrer Kinder haben kann.
Meine Sympathie für ihn wuchs ins Unermessliche, als er meine Zitronenstangen lobte.
»Die können es mit Mrs Buntings aufnehmen«, sagte er. »Haben Sie schon daran gedacht, sie beim Erntedankfest einzureichen?«
Ich senkte bescheiden den Kopf. »Nein, daran habe ich ehrlich gesagt noch gar nicht gedacht.«
»An Ihrer Stelle täte ich es«, sagte er. »Sie könnten damit ein Blaues Band gewinnen.« Er reichte mir den Teller mit dem Gebäck, anscheinend hatte er keine Ahnung von den Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Erntedankfest.
»Waren Sie in letzter Zeit einmal in Kitchen’s Emporium?«, fragte ich.
»Dort gehe ich niemals hin«, erwiderte er.
»Mrs Kitchen erinnert mich zu sehr an meine Mutter. Ich gehe zum Postamt in Naunton, wenn ich eine meiner Eisenbahnen verkaufe und verschicken muss.«
»Sie verkaufen Ihre Eisenbahnen?«, sagte ich mit gerunzelter Stirn. »Warum tun Sie das denn?«
Mr Wetherhead warf einen bedeutsamen Blick auf mein rotes Notizbuch. »Versprechen Sie mir, meine Antwort vertraulich zu behandeln?«
Ich legte den Kugelschreiber auf den Tisch.
»Durch die Kürzungen im National Health Service reicht meine Rente allein nicht mehr aus«, vertraute er mir an, »also verkaufe ich ab und zu eine meiner Eisenbahnen und verschicke sie per Post. Die Nachfrage unter den HobbyEisenbahnfans ist groß.« Er füllte meine Tasse erneut. »Aber das habe ich Ihnen nicht erzählt.«
Einen Moment drehte ich die Daumen, erbost über eine Welt, in der ein Mann seine Träume nach und nach verkaufen muss, um seine Arzneimittelrechnungen zu bezahlen. »Haben Sie jemals daran gedacht, Ihr Haus in ein Museum zu verwandeln?«, fragte ich.
Mr Wetherhead sah mich so erschrocken an, dass ich fast die Stimme seiner Mutter hörte, wie sie ihm in seiner
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