Tante Dimity und der Fremde im Schnee
fühlte mich genau so, wie ich mich immer fühle, wenn wohlmeinende Menschen mich davon überzeugen wollen, dass das Lächeln meiner kleinen Söhne mehr mit guter Verdauung als mit Freude über meine Anwesenheit zu tun hat. Doch bevor ich etwas einwenden konnte, sprach mich der Mann in der schwarzen Lederjacke an.
»Lori Shepherd?«, sagte er.
»Ja«, entgegnete ich.
»Dr. Pritchard sagte mir, dass Sie vorbeischauen würden. Mein Name ist Julian Bright.«
Er streckte seine Hand aus. »Würden Sie mit mir nach Cambridgeshire fahren?«
5
DER VORSCHLAG KLANG derartig anma ßend, dass ich nicht wusste, ob ich lachen oder um Hilfe rufen sollte. »Danke, Mr Bright, aber normalerweise nehme ich von Fremden keine Reiseeinladungen an.«
»Bitte, nennen Sie mich Julian«, sagte er ungerührt und mit einem beruhigenden Lächeln.
»Glauben Sie mir bitte, dass meine Absichten durchaus ehrenhaft sind. Ich habe nicht vor, mich an Sie heranzumachen – oder an irgendeine andere Frau.«
Ich sah das Ziegenbärtchen und die schwarze Lederjacke und errötete. »Oh«, sagte ich behutsam.
»So ist das.« Ich wandte den Kopf zum Krankenzimmer und überlegte, wie ich meine nächste Frage am unverfänglichsten formulieren konnte. »Sie sind mit dem Mann dort … verbunden?«
Das beruhigende Lächeln verwandelte sich in ein breites Grinsen.
»Oh, ich bin nicht homosexuell, falls Sie das andeuten wollten. Ich bin Priester, ein römisch-katholischer Priester. Und ich bin zutiefst mit diesem Mann verbunden. Ich verdanke ihm mein Leben.«
Nurse Willoughby tauchte hinter uns auf. »Es tut mir leid, Julian, aber Sie müssen Ihr Gespräch woanders fortsetzen.« Sie reichte mir meinen Mantel und die Schultertasche. »Sie wissen, wie die Stationsschwester reagiert, wenn jemand den Flur versperrt.«
»Einen Augenblick noch, Schwester Willoughby«, sagte Julian. »Ich brauche einen Leumundszeugen. Würden Sie Mrs Shepherd bitte davon in Kenntnis setzen, dass ich ein durchaus ehrenwerter Gentleman bin, der nichts Böses im Schilde führt?«
»Nur zu gerne.«
Die rothaarige Schwester neigte sich vertraulich zu mir und sagte mit leiser Stimme: »Er hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.«
»Nicht sehr hilfreich …«, begann Julian, aber die Krankenschwester lachte nur.
»Im Ernst, er hat eine Gemeinde in einem schicken Viertel aufgegeben und leitet jetzt ein Obdachlosenheim«, erzählte sie mir. »Jeden Morgen macht er hier die Runde, auf der Suche nach verloren gegangenen Schäfchen. Die Stationsschwester sagt, dass er es bis zum Bischof hätte bringen können. Aber er hat alles aufgegeben, um sich um einen Haufen alter Säufer zu kümmern.«
»Reiner Egoismus«, fügte Julian rasch ein.
»Ich warte nur darauf, eines Tages einen verkappten Millionär unter den Drogensüchtigen und Alkoholikern von Sankt Benedikt zu entdecken.«
Schwester Willoughby lachte. »Geben Sie ihm meine Adresse, wenn Sie ihn gefunden haben. Ich könnte ein paar Pfund extra gut gebrauchen.«
Sie hob mahnend den Zeigefinger. »Und nun fort mit Ihnen, bevor die Stationsschwester Sie sieht und einen Anfall bekommt.«
»Wenn jemand nach uns fragt, wir sind in der Cafeteria«, sagte Julian, und noch bevor ich irgendwelche Einwände erheben konnte, nahm er mich beim Arm und bugsierte mich den Flur hinunter. »Dr. Pritchard hat mir erzählt, dass Sie eine Rettungseinheit der Royal Air Force für Smitty gerufen haben. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin. Eine Menge Leute hätten den Blick einfach abgewendet.«
»Eigentlich war ich es nicht persönlich«, wehrte ich ab. Es war mir peinlich, das unverdiente Lob entgegenzunehmen.
»Aber Sie sind auch jetzt hier«, meinte Julian.
»Nicht viele Frauen würden sich von den Vorbereitungen für das Fest loseisen, um einen Mann wie Smitty zu besuchen.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Auch dafür ist eigentlich jemand anderes verantwortlich.«
»Aber Sie sind froh, dass Sie Zeit bei ihm verbracht haben«, sagte Julian. »Das sieht man Ihnen an.«
Überrascht fuhr ich mir mit der Hand über die Wange. Sah ich etwa so verzaubert aus wie die Lernschwestern, die sich am Bett des Stromers versammelt hatten. »Heißt er wirklich Smitty, oder ist das ein Spitzname?«
»So nennen wir ihn zumindest in Sankt Benedikt«, antwortete Julian.
Wir betraten die hell erleuchtete, in fröhlichen Farben gestrichene Cafeteria, in der sich Patienten, Personal und Besucher aufhielten.
Während mich Julian an
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