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Tante Dimity und der Fremde im Schnee

Tante Dimity und der Fremde im Schnee

Titel: Tante Dimity und der Fremde im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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einen Ecktisch führte, wurde er von allen Seiten begrüßt.
    »Eine Tasse Tee?«, fragte er.
    »Ja, bitte.« Ich legte meinen Mantel über einen freien Stuhl und nahm Platz. Ich fühlte mich, als hätte mich eine Flutwelle an den Strand gespült. Julian Bright mochte wie ein müder Basset Hound aussehen, aber er besaß die Energie eines Foxterriers. Auf dem Weg zur Teemaschine blieb er wohl ein Dutzend Mal stehen, beantwortete Fragen und machte Scherze. Einmal kniete er sich neben ein kleines Mädchen in einem Rollstuhl und unterhielt sich leise mit ihm. Weitere Beweise dafür, dass es sich bei ihm um einen ehrenwerten Gentleman handelte, brauchte es nicht.
    Während ich auf meinen Tee wartete, flatterte ein ganzer Schwarm von Fragen durch meinen Kopf. Wie gut kannte Julian Smitty? Hatte ihm der Landstreicher wirklich das Leben gerettet?
    Und vor allem, warum forderte mich ein katholischer Priester auf, mit ihm nach Cambridgeshire zu fahren? Julian kehrte mit einem blauen Kunststofftablett zurück, auf dem drei Tassen mit Tee standen. Zwei stellte er vor mir ab, die dritte war für ihn. Er legte seine Lederjacke auf die Rückenlehne eines Stuhles und nahm mir gegenüber Platz.
    Ich deutete auf das Tassenpaar. »Wieso zwei?«
    »Damit Sie sich von dem Schock über das, was ich gesagt habe, erholen können«, antwortete er.
    Er goss Milch in seinen Tee und rührte um.
    »Ich fürchte, ich habe Sie da etwas überrumpelt.
    Aber ich muss heute Abend das Essen in Sankt Benedikt organisieren. Deshalb muss ich in spä testens einer Stunde nach Cambridgeshire aufbrechen. Und es wäre sehr gut, wenn Sie mitkä men.«

    »Warum?«, fragte ich.
    »Damit Smitty nach seiner Entlassung eine geeignete Betreuung bekommt.«
    Julian legte seinen Löffel beiseite. »Es sei denn, Sie hätten vor, ihn aufzunehmen.«
    »Ähm, also, ich …« Ich nippte an meinem Tee und suchte nach einer Antwort. »Daran hatte ich eigentlich nicht gedacht.«
    »Ich kann es auch nicht«, sagte Julian. »Sankt Benedikt ist nicht der geeignete Ort für einen Mann mit seiner Krankheit.«
    »Was ist Sankt Benedikt genau?«, wollte ich wissen.
    »Eine Unterkunft für Nichtsesshafte – Sie können es auch Obdachlosenheim nennen«, antwortete Julian. »Es liegt inmitten von Sozialwohnungen in East Oxford. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie schon mal dort waren.«
    »Und Sie arbeiten dort?«
    »Ich leite das Ganze.«
    Ich beugte mich vor. »Geben Sie den Männern, die zu Ihnen kommen, nichts zu essen?«
    »Natürlich tun wir das«, erwiderte Julian entrüstet.
    »Wieso ist Smitty dann fast an Unterernährung gestorben?«, fragte ich laut. Einige Menschen schauten zu uns herüber, und ich senkte meine Stimme. »Sie haben ihn doch gesehen. Er ist dürr wie eine Vogelscheuche, nur Haut und Knochen.«
    Julian senkte kurz den Blick, bevor er mich ruhig ansah. »Wir bieten den Männern natürlich etwas zu essen an«, sagte er ernst. »Aber wir können sie nicht zwangsernähren. Solange Smitty in Sankt Benedikt wohnte, hatte er die Möglichkeit, einfache, aber nahrhafte Mahlzeiten zu sich zu nehmen, aber er zog es vor zu hungern.« Er beugte sich vor. »Außerdem wusste ich gar nicht, wie es um ihn stand, bis mich Dr. Pritchard heute Morgen über seinen Zustand informierte.«
    Ich lehnte mich zurück. Die Antwort des Priesters hatte mir den Wind aus den Segeln genommen. Ich erinnerte mich an die Schichten von Kleidung und den viel zu großen Mantel. Julian hätte Röntgenaugen haben müssen, um erkennen zu können, wie hager der Mann unter all den Lumpen war. Auch ich hatte Smittys Zerbrechlichkeit erst wahrgenommen, als ich ihn zusammen mit Bill ins Cottage getragen hatte.
    »Es tut mir leid«, sagte ich steif. »Ich habe geredet, ohne nachzudenken, was oft bei mir vorkommt. Aber Smittys Anblick … die Hände …«
    »Ja, die Erfrierungen«, sagte Julian. »Glücklicherweise muss kein Finger amputiert werden.«

    Ich atmete heftig aus und schob die andere Teetasse zur Seite.
    »Ich finde es gut, dass Sie sich um jemanden wie Smitty kümmern. Er ist auch wirklich in einem beklagenswerten Zustand, nicht nur körperlich. Ich befürchte eine Form der Demenz.«
    »Sie meinen, er ist verrückt?« Irgendwie gefiel mir diese Vermutung nicht.
    »Ganz sicher bin ich mir natürlich nicht. Deshalb muss ich nach Cambridgeshire. Einer der Männer in Sankt Benedikt erzählte mir, Smitty habe dort gelebt, bevor er nach Oxford kam. Er arbeitete über ein Jahr auf der Blackthorne

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