Tante Dimity und der skrupellose Erpresser
fast voller Mond warf einen sanften Glanz über die in Schatten getauchte Landschaft. Wir gingen einen grasbewachsenen Pfad entlang, der von streng arrangierten Blumenbeeten gesäumt wurde, die bereits für den Winter zugedeckt waren.
»Ist der Pfad eben genug für Emmas Schuhe?«, erkundigte sich Simon.
»Wie ein Billardtisch«, erwiderte ich. »Ich könnte ein Menuett in Emmas Schuhen tanzen –
wenn ich wüsste, wie man ein Menuett tanzt.«
»Ich bringe es Ihnen bei«, bot er mir an.
Ich blieb stehen. »Sie können wirklich Menuett tanzen?«
»In der Tat«, sagte er. »Ein Tanzlehrer hat es mir beigebracht, als ich elf Jahre alt war, hier, im Ballsaal.«
Ich sah ihn von oben bis unten an. »Sie sind erstaunlich gut erhalten für jemanden, der im achtzehnten Jahrhundert geboren wurde.«
Simon lachte. »Ich gebe gerne zu, dass ich nicht in meine Zeit passe. Ich habe stets das Land der Stadt vorgezogen, das Handgemachte dem industriell Gefertigten, das Menuett dem
…?« Er runzelte die Stirn. »Haben Tänze heutzutage noch Namen?«
»Wenn, dann kenne ich sie nicht«, entgegnete ich.
»Wir befinden uns jetzt im Rosengarten«, erklärte Simon, als wir weitergingen. »Im Juni ist die Luft hier einfach betörend, im Oktober leider nicht mehr.«
»Trotzdem ist es herrlich«, sagte ich.
»Im Juni ist es herrlicher.« Simon blieb unter einem kunstvollen schmiedeeisernen Bogen stehen, und ein verschlungenes Schattenmuster fiel auf sein Gesicht. »Wenn die Kletterrosen blühen, ist es der schönste Ort auf der Welt.«
»Emma dürfte Ihnen zustimmen«, sagte ich.
»Aber bei Derek wäre ich mir nicht so sicher. Ich glaube, er macht sich nicht viel aus Hailesham Park.«
»Das hat er noch nie getan«, meinte Simon.
»Schon als Kind zog er den Zimmermannsschuppen dem Haus vor.« Er fuhr mit dem Finger über einen eisernen Schnörkel. »Sie kennen meinen Cousin doch recht gut, Lori. Hat er Ihnen jemals verraten, warum er sein Elternhaus so sehr verachtet?«
»Er und sein Vater scheinen nicht gut miteinander auszukommen«, antwortete ich diplomatisch.
»Selbst wenn ich meinen Onkel für den übelsten Tyrannen auf der Welt hielte, könnte ich Hailesham nicht hassen«, sagte Simon. »Es muss einen anderen Grund geben.«
Ich dachte an die fröhliche Unordnung, die in Dereks Haus herrschte, und verglich sie mit der überwältigenden Perfektion von Hailesham. Ich sah Derek in seinen schmutzigen Arbeitsstiefeln, und mein Blick fiel auf die glänzenden schwarzen Schuhe Simons. Ich deutete auf die manikürten Blumenbeete, die uns umgaben.
»Vielleicht hält er dies alles für ein wenig …
elitär«, wagte ich zu äußern.
»Elitär?« Simons Mund zog sich zusammen, und als er die Stimme hob, spürte ich seinen Zorn. »Sind Schönheit, Handwerkskunst und Beständigkeit etwa elitär? Hailesham wurde nicht am Fließband produziert. Es wurde von Hand gemacht. Es wurde von Steinmetzen erschaffen, von Zimmerleuten, von Malern und Stuckateuren – Männern, denen es um eine Form des Selbstausdrucks ging, wie er in der seelenlosen Architektur von heute verpönt ist.« Er umklammerte den schmiedeeisernen Bogen, als wolle er sich dessen Beständigkeit versichern. »Gerade Derek sollte doch den Unterschied kennen, möchte ich meinen.«
»Dessen bin ich sicher«, setzte ich an, aber Simon schien mir nicht mehr zuzuhören.
»Im letzten Jahrhundert sind Hunderte von Landhäusern abgerissen worden«, fuhr er fort.
»Darunter Sehenswürdigkeiten, wie es sie nie mehr geben wird. Es ist ein Wunder, dass Hailesham überlebt hat, ein Wunder, das mehrere Generationen meiner Familie bewirkt haben, ihnen war es wichtig …« Verächtlich wirbelte er den Kopf herum. »Weiß Derek eigentlich, wie viele Handwerker wir beschäftigen, um das Haus in Stand zu halten?«
»Simon«, sagte ich sanft. »Vergessen Sie das Wort elitär. Ich hätte es nicht benutzen dürfen, das war idiotisch von mir. Derek hat sein Leben der Restaurierung alter Gebäude gewidmet.
Niemand weiß Handwerkskunst mehr zu schätzen als er.«
Simon ließ den Bogen los und streckte fragend die Hand aus. »Warum hasst er diesen Ort dann so sehr?«
»Ich weiß es nicht.« Ich ergriff seine Hand.
»Aber ich weiß jetzt, dass Sie ihn lieben.«
Simons Zorn schien langsam zu verrauchen.
Er holte tief Luft, schob die Unterlippe zwischen die Zähne und sah mich beschämt an. »Verzeihen Sie mir«, sagte er. »Ich bin ein alter Langweiler. Für Gina gibt es nichts
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