Tante Dimity und der skrupellose Erpresser
also außerordentlich«, sagte ich. »Sie haben nicht zufällig ein wenig Zeit, mir ein paar besondere Stücke zu zeigen?«
»Nun …« Ängstlich schaute er zur Tür.
»Ich werde dem Earl kein Sterbenswörtchen verraten, wenn Sie sich deswegen Sorgen machen«, versicherte ich ihm. »Aber ich weiß nicht viel über Bücher, und ich fände es toll, etwas von jemandem zu lernen, der sich damit auskennt.«
Der Dummchen-Trick wirkte wie ein Zauberspruch. Plötzlich hatte Jim völlig vergessen, dass er eine Pause machen wollte. Fachkundig begann er, mich an den Buchregalen entlangzuführen.
Die Begeisterung löste seine Zunge, und er redete wie ein Wasserfall, während er mir frühe Ausgaben der Werke von Austen, Defoe und Fielding zeigte. Mit klassischer englischer Literatur kannte er sich bestens aus, wobei ihm das sinnliche Vergnügen, die Bücher zu berühren, den meisten Spaß zu machen schien. Ich verstand ihn.
Es gab wenig im Leben, das aufregender war, als mit dem Finger über einen fein strukturierten Einband aus geschmeidigem Safranleder zu streichen oder beim Blättern in einer Erstausgabe unvermutet auf eine handschriftliche Notiz des Autors zu stoßen. Jim Huang schien jeden einzelnen Band in der Bibliothek durchgesehen zu haben.
»Man könnte meinen, Sie würden hier drin wohnen«, sagte ich am Ende der Führung.
»Leider nicht«, meinte Jim und stellte eine Erstausgabe von Christopher Smarts Hymns for the Amusement of Children ins Regal zurück, richtete sie präzise mit den anderen Büchern aus und verschloss die Glastür. »Ich schlafe im Bedienstetentrakt. Das ist weniger schlimm, als es klingt. Lord Elstyn behandelt seine Angestellten sehr gut.«
»Also bestünde keine Gefahr, über Sie zu stolpern, sollte ich mich mal mitten in der Nacht hierher verirren?«, sagte ich.
»Nicht über mich.« Jim lachte. »Aber vielleicht über den Earl. Er liest hier oft noch zu sehr später Stunde. Ich glaube fast, er leidet an Schlaflosigkeit.« Sein Lächeln verschwand mit einem Schlag, als habe ihn die Erwähnung des Earls an die Arbeit erinnert, die er gerade vernachlässigte.
»Verzeihen Sie, aber ich muss jetzt los.«
»Aber selbstverständlich«, sagte ich. »Danke, dass Sie mir alles gezeigt haben. Ich habe eine Menge gelernt.«
Jim ging an den Tisch und nahm den Laptop und die Kiste mit den Manuskripten unter den Arm. Bevor er hinausging, drehte er sich noch einmal um. »Wenn Sie etwas Besonderes lesen wollen, wenden Sie sich ruhig an mich. Giddings weiß immer, wo ich zu finden bin.« Er nickte mir freundlich zu und verschwand mit seinem wichtigen Projekt.
Ich schaute auf die Uhr. Es war schon fast zehn, und noch immer keine Spur von Simon. Ich überlegte, ob ich ihn suchen sollte, beschloss dann jedoch zu bleiben, wo ich war. Es hatte keinen Sinn, dass wir beide einander hinterherrannten. Außerdem konnte ich nirgends so gut Zeit totschlagen wie in einer Bibliothek.
Ich schaute mir gerade eine Ausgabe der Military Library von Mansfield Park aus dem Jahr 1814 an, als die Tür aufging und Simon erschien.
Er war leicht außer Atem, schaffte es aber dennoch in seinem schwarzen Kaschmirpullover, der in einer schiefergrauen Bundfaltenhosen steckte, eine durchaus elegante Erscheinung abzugeben.
»Entschuldigen Sie vielmals, Lori«, sagte er und schloss die Tür. »Aber mein neues Jagdpferd hat mich abgeworfen, ich landete im Morast und brauchte etwas länger, bis ich wieder präsentabel aussah.«
»Machen Sie sich keine Sorgen deswegen«, versicherte ich ihm. »Mir ist die Zeit nicht lang geworden.«
»Zu gütig von Ihnen.« Simon ging auf den Ledersessel zu, der gegenüber dem stand, in dem ich saß, und ließ sich sehr behutsam darin nieder.
»Haben Sie sich wehgetan?«, fragte ich und bezweifelte, dass er allzu weich gelandet war.
»Es geht mir gut«, antwortete er. »Verraten Sie mir, womit Sie sich während meiner Abwesenheit beschäftigt haben.«
Ich legte Mansfield Park beiseite und beugte mich vor. »Sie haben mich doch hierher gebeten, damit ich Ihnen helfe, das Buch zu finden, aus dem die Buchstaben für den Drohbrief stammen, oder?«
»Ihnen muss man nicht viel erklären«, meinte er lächelnd.
»Eine vollkommen logische Schlussfolgerung«, sagte ich würdevoll und dankte im Stillen Tante Dimity. »Ich glaube, wir können uns die Arbeit sparen. Kennen Sie Jim Huang?«
Simon sah mich ratlos an. »Jim …?«
»Huang«, wiederholte ich. »Er arbeitet an einem Projekt für Ihren
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