Tante Dimity und der skrupellose Erpresser
erreicht hatte.
Ich wollte antworten, schwieg aber, bis das kräftige rothaarige Dienstmädchen, das gerade mit einem Arm voll frischer Handtücher an uns vorbeimarschierte, außer Hörweite war. Dann zog ich Emma zu einer bestickten Bank neben dem Treppenabsatz, und wir setzten uns.
»Gesehen habe ich Derek nicht.« Ich sprach leise, damit uns kein über den Flur eilender Dienstbote hören konnte. »Aber ich habe ihn gehört, ihn und seinen Vater, unten in der Eingangshalle, vor etwa zwei Stunden. Er hat deinen Rat beherzigt, Emma, und Edwin von Nell und Kit erzählt.«
Auch Emma sprach sehr leise. »Wie hat Edwin es aufgenommen?«
Ich rieb mir nachdenklich das Kinn. »Nun, er hat angedroht, Kit zu erschießen, aber er sprach mit keinem Wort davon, Nell zu den Nonnen zu schicken. Insgesamt ist es also recht gut gelaufen.«
»Er will Kit erschießen?« Emmas Augen weiteten sich in ungläubigem Schrecken.
»Nur wenn er nach Hailesham kommt«, beruhigte ich sie. »Was unwahrscheinlich ist. Ich weiß, ich soll Derek im Auge behalten, aber …«
»Ist schon gut«, unterbrach mich Emma und senkte den Kopf. »Derek hatte Recht. Ich habe viel zu viel Theater um seine Rückkehr gemacht.
Jetzt, wo ich seine Verwandten kennen gelernt habe, glaube ich nicht mehr, dass einer von ihnen Derek im Schlaf ermorden würde. Wenn gekämpft wird, dann mit dem Stift und nicht mit dem Schwert. Und das besorgen die Rechtsanwälte.« Sie legte die Hand auf meinen Arm. »Tut mir leid, dass ich so einen Wirbel gemacht habe.«
»Wofür hat man Freunde?«, sagte ich und atmete insgeheim erleichtert auf. Nichts ahnend hatte Emma mir die heikle Mission erspart, sie bezüglich Derek zu beruhigen, ohne mein Versprechen gegenüber Simon zu brechen. »Du hast dich also eingelebt?«
»Gestern Abend beim Dinner war ich noch sehr nervös«, gestand Emma. »Aber Oliver hat alles getan, um es mir so leicht wie möglich zu machen. Auch Edwin benimmt sich sehr freundlich mir gegenüber, auch wenn ich davon ausgehe, dass er das mehr auf Nells Anweisung hin tut als aus eigenem Antrieb.«
»Nell muss vor Freude aus dem Häuschen sein, dich hier zu haben«, sagte ich.
»Das ist sie«, bestätigte Emma. »Ich wünschte nur, Derek und sein Vater würden sich nicht ständig die Köpfe einrennen. Nell würde uns gerne öfter hier sehen.«
»Glaubst du, dass sie gerne hier wohnen würde?«, fragte ich.
»Auf jeden Fall«, sagte Emma. »Hailesham ist so etwas wie ihr natürlicher Lebensraum. Sie wurde dazu geboren, hier zu regieren.«
»Aber sie hat keine Chance, hier zu regieren, wenn nicht Derek zuerst hier regiert«, bemerkte ich.
»Das ist der Haken an der Sache.« Emma schob das Gestell ihrer Drahtbrille hoch. »Ich muss zugeben, dass ich nach meinem Ausritt heute Morgen ein gewisses Faible für Hailesham entwickelt habe.«
»Du hast dich offenbar gut amüsiert.«
Emmas Gesicht hellte sich auf. »Es war umwerfend, auch wenn ich völlig deklassiert worden bin. Claudia ist auch nicht so dumm, wie es den Anschein hat, Lori, sie reitet fast so gut wie Nell.«
»Und Simon?«, fragte ich beiläufig.
»Simon ist ein Zentaur«, sagte Emma lachend.
»Bei seinem zweiten Ritt über die Hürden ist er allerdings abgeworfen worden, aber das ist kein Wunder. Es war schließlich das erste Mal, dass er auf Deacon saß.«
»Deacon ist der Apfelschimmel?«, fragte ich.
Emma nickte. »Simons neues Jagdpferd, ein Geschenk von Edwin. Deacon ist so eigensinnig, wie es Zephyrus war, als Kit ihn zum ersten Mal ritt.«
Ich stellte mir Simon vor, wie er elegant über die Hürden glitt, und plötzlich spürte ich so etwas wie Bewunderung für seine Reitkunst. Als Kit seinen schwarzen Hengst eingeritten hatte, hatte er mehr Zeit auf dem Boden als im Sattel verbracht. Dass Simon überhaupt mit Deacon über die Hürden gekommen war, beeindruckte mich ungemein.
»Immerhin ist er weich gelandet«, meinte ich.
»Der große Rasen ist wohl ziemlich matschig, oder?«
»Was? Er ist knochentrocken«, entgegnete Emma. »Simon schlug auf wie ein Sack Zement, aber er stieg wieder auf und blieb im Sattel. Er ist ein erfahrener Reiter, Lori, er hat gelernt, wie man fällt, ohne sich allzu weh zu tun.« Sie schaute auf ihre Uhr. »Ich muss Derek suchen, ich habe gute Neuigkeiten für ihn.« Sie hob die Hand, um meine Frage abzuwehren. »Ich kann es dir erst erzählen, wenn ich es ihm erzählt habe.«
»Warst du schon oben?«, fragte ich.
»Ich war auf dem Weg, als Giddings
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