Tante Dimity und der unbekannte Moerder
sie deswegen bereit, der Usurpatorin auch körperlichen Schaden zuzufügen?« Nicholas wischte sich die Haare aus dem Gesicht und ließ den Blick langsam über den Friedhof schweifen.
Die Luft duftete süß und war immer noch von Vogelgesang erfüllt. Ein Paar Rotkehlchen suchte unter den Schlüsselblumen nach Regenwürmern, ein Buchfink hüpfte von einem Grabstein zum nächsten, und ein Schwarm schwatzhafter Drosseln hatte sich auf den weit ausladenden Ästen der Zedern niedergelassen.
Ich ließ die Beine locker baumeln. »Irgendwie kommt es mir nicht richtig vor, an einem so friedlichen Ort wie diesem über Gewalt zu reden.«
Nicholas verschränkte die Arme vor der Brust.
»Die Toten stört das bestimmt nicht.«
»Wenn du wüsstest!«, widersprach ich in bedeutungsvollem Ton, um mir sofort zu wünschen, ich hätte nichts gesagt.
»Es würde mich doch sehr wundern, wenn die Toten tatsächlich mit irgendwas Probleme hätten. Dich nicht auch?«
Den Blick auf Pruneface Hoopers Grab gerichtet, antwortete ich vorsichtig: »Ich habe in England eine Reihe von ungewöhnlichen Erfahrungen gemacht. Vielleicht klingt es in deinen Ohren verrückt, aber seither bin ich der Überzeugung, dass die Seele eines Menschen durchaus auch dann noch aktiv sein kann, wenn sein Körper zu Staub zerfallen ist.«
»Interessant.« Nicholas schürzte die Lippen und meinte mit einem lässigen Achselzucken:
»Dann lass uns hoffen, dass Mrs Hoopers Geist nicht zu denen gehört, die aktiv bleiben. Sie hat mehr als genug Unfrieden gestiftet, als ihr Geist noch in ihrem Körper hauste.«
Ich fühlte mich unendlich erleichtert und dankbar, als hätte mir Nicholas über eine un überwindbare Hürde hinweggeholfen. Trotzdem war ich noch immer über meine Geschwätzigkeit entsetzt. Von meinen Erfahrungen mit Tante Dimity hatte ich nur meinen engsten Verwandten und Freunden etwas anvertraut, und jetzt saß ich da und erörterte mit einem Mann, den ich seit noch nicht einmal zwei Tagen kannte, meine Ansichten über das Leben nach dem Tod.
Ich wechselte das Thema. »Nicholas, hat dir schon mal jemand gesagt, dass es so unglaublich leicht ist, mit dir zu reden? Peggy ist Fremden gegenüber sonst immer sehr zurückhaltend, aber bei dir konnte sie gar nicht aufhören zu quasseln.
Und was mich betrifft: Wenn ich nicht aufpasse, verrate ich dir noch mein Geheimrezept für Haferplätzchen.«
»Dann müsste ich mir die Ohren zuhalten.«
Nicholas fasste sich stöhnend an den Bauch. »Ich bin viel zu satt, um noch an Essen zu denken.«
»Wenn das so ist, warten wir mit dem Tearoom besser bis morgen«, entgegnete ich. »Sally Pyne wird nämlich darauf bestehen, uns mit ihren Köstlichkeiten vollzustopfen, und die Sachen, die sie macht, sind ausnahmslos Kalorienbomben.«
Nicholas erschauerte und zeigte sich sofort damit einverstanden, mich am nächsten Morgen um zehn im Tearoom zu treffen.
Als wir den Rückweg antraten, verdichtete sich mein Verdacht, dass vor meiner neuen Geheimwaffe kein Geheimnis in diesem Ort lange sicher sein würde – gegen den lockeren, charmanten Mr Fox hatte Finch nicht den Hauch einer Chance.
9
SOBALD ICH DIE Zwillinge zu Bett gebracht hatte, meldete ich mich bei Tante Dimity zum Rapport.
»Start geglückt«, verkündete ich beim Öffnen des blauen Tagebuchs. »Die Untersuchungen zum vorzeitigen Tode Pruneface Hoopers sind angelaufen.«
Hurra ! Tante Dimitys elegante Kursivschrift mit ihren vielen Schleifen und Haken kringelte sich über die Seite, ohne ungebührliche Spuren von Aufregung zu verraten.
»Vielleicht!« Ich lehnte mich im Ledersessel zurück und schwang die Beine auf die Ottomane.
»Allem Anschein nach wurde Mr Barlow an dem Morgen, an dem Mrs Hooper umgebracht wurde, auf dem Dorfplatz gesichtet und ist kurz danach verschwunden. Seitdem hat er nichts mehr von sich hören lassen.«
Das ist angesichts seiner instinktiven Feindseligkeit gegenüber der Verstorbenen wert , festgehalten zu werden . Ich könnte mir vorstellen , dass die Polizei intensiv nach seinem Aufenthaltsort fahndet . Fürs Erste können wir Mr Barlow darum getrost den Behörden überlassen .
Sonst noch was?
»Mrs Hooper hat den Pfarrer irgendwie dazu gebracht, dass er ihr die Dekoration des Taufbeckens für Ostern anvertraut hat, obwohl das bisher immer Sally Pynes Aufgabe war. Peggy Taxman hält es für möglich, dass Sally Pruneface aus Wut und Verbitterung den Schädel eingeschlagen hat. Was glaubst du?«
Wie ich das sehe , hätte
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