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Tante Dimity und der unerhoerte Skandal

Tante Dimity und der unerhoerte Skandal

Titel: Tante Dimity und der unerhoerte Skandal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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nickte, dankbarer, als Gerald es ahnen konnte, dafür, dass er die Situation so prompt erkannt hatte. Der doppelte Schock, ihn in seiner nur allzu attraktiven Leibhaftigkeit zu sehen und Nell schon wieder in einer anderen Rolle zu erleben, hatte mich zu einem stotternden Nervenbündel gemacht.
    Bestimmt wirkte ich genau wie eine unglückliche Angestellte, der man die verwöhnte Göre des Chefs aufgehalst hatte.
    »Ich vermute, der gesuchte Großpapa ist William Willis?«, fragte Gerald.
    »Ah …«, sagte ich.
    »Na, schon gut«, sagte Gerald gutmütig. »Es wird sich bestimmt alles aufklären. Inzwischen macht meine Haushälterin uns Tee. Darf ich Sie einladen, Miss …?«
    »Shepherd«, brachte ich heraus.
    Gerald führte mich in einen kleinen Eingangsbereich am Fuße einer schmalen Treppe. Sanft nahm er mir die Aktentasche ab und stellte sie auf den Boden neben ein wackeliges Telefontischchen. Als er sich wieder aufrichtete, klingelte das Telefon und er fuhr leicht zusammen.
    »Du lieber Gott«, sagte er. »Funktioniert es wieder?« Er hob den Hörer ab und bedeckte die Muschel mit der Hand, ehe er mit dem Kopf in Richtung Flur deutete. »Hinteres Zimmer, dritte Tür rechts«, sagte er. »Gehen Sie nur hinein, ich komme sofort nach.«
    Ich stolperte einen oder zwei Schritte zurück, drehte mich um und floh blindlings den Flur entlang, wobei ich nach meinem Ehering unter der Seidenbluse tastete und ihn wie einen Talisman festhielt, während Fetzen von Geralds Telefongespräch vom Eingangsbereich her klangen.
    »Ja, ich weiß, Herr Doktor … Es ist gerade erst repariert worden … Ja, es war auch für mich ärgerlich … Nein, es tut mir Leid, aber – könnten Sie bitte etwas lauter sprechen?«
    Seine Stimme war weich wie Samt, sie klang dunkel wie alter Wein und verführerisch wie Sirenengesang und, verzweifelt bemüht, außer Hörweite zu kommen, fummelte ich am Türgriff zu meiner Rechten, schlüpfte eilig in das Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Atemlos lehnte ich mich von innen dagegen, so erleichtert durch die plötzliche Stille, dass es einen Moment dauerte, ehe ich merkte, dass ich die falsche Tür geöffnet hatte.
    Ich stand in einem Zimmer, das wie ein Lagerraum aussah. Die Vorhänge waren zugezogen, und entlang der einen Wand waren Holzkisten gestapelt. Ihnen gegenüber standen ein schlichter Holztisch, ein einfacher grauer Bürostuhl auf Rädern und ein Bücherregal, das mit Katalogen von Auktionen und bunten Bildbänden und Büchern über Kunstgeschichte gefüllt war. Unter dem Tisch befand sich eine offene Kiste, die von zusammengeknülltem Zeitungspapier umgeben war, das offenbar als Packmaterial gedient hatte.
    Auf dem Holztisch stand eine Leselampe aus Messing mit grünem Schirm, die einzige Lichtquelle, außerdem ein Karteikasten, daneben ein Füller.
    Aber alle diese Dinge nahm ich auf den ersten Blick gar nicht wahr. Meine Aufmerksamkeit war vollkommen von einem einzigen Gegenstand in Anspruch genommen, einem golden glänzenden Gegenstand, den ich nie außerhalb eines Museums erwartet hätte.
    Es war ein Kreuz, etwa dreißig Zentimeter hoch, am Fuß zierlich verbreitert, so dass es von allein stand. Die Oberfläche war mit einem komplizierten Muster verschlungener Linien bedeckt – keltischen Ursprungs, vermutete ich –, und in der Mitte, wo die beiden Balken sich trafen, war ein großer runder Bergkristall, der von einem juwelenbesetzten Strahlenkranz umgeben war. Dieser Strahlenkranz schien alles Licht der Lampe auf sich zu ziehen und es als funkelndes, strahlendes Lichtbündel in meine Richtung zu reflektieren. Verzaubert trat ich darauf zu.
    Ich war sicher, dass es ein Reliquiar war, ein herrliches heiliges Behältnis, um etwas zu bergen, was mein alter Chef Stan Finderman respektlos  »Kreuzfahrertrophäen« nannte. Ein Splitter vom Kreuz Christi, eine Locke vom Kopf eines Heiligen  – in Irland hatte ich einst ein Reliquiar gesehen, in dem ein ganzer Arm des heiligen Lachtin aufbewahrt wurde. Manche Reliquiare waren aus Elfenbein, andere aus kunstvoll gemeißeltem Stein, aber das, was hier vor mir stand, war aus Gold.
    Es war nicht makellos. Viele der Edelsteine aus dem Strahlenkranz fehlten und der Querbalken hatte Kratzer, aber die Klarheit der Linien verlieh ihm einen Reiz, der weit über seinen zweifellos hohen Wert hinausging. Ich konnte dem Wunsch nicht widerstehen, es zu berühren. Ich wollte es in die Hand nehmen, um es im Licht der Lampe hin und her zu drehen und zu

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