Tante Dimity und der unerhoerte Skandal
hat«, erwiderte Nell. »Ich denke, wir sollten es uns etwas näher ansehen.«
»Hat Sir Poppet dir das gegeben?«, fragte ich misstrauisch.
Nell wickelte eine goldene Haarsträhne um ihren Finger und sah wie beiläufig aus dem Fenster.
»Das wollte er bestimmt noch«, sagte sie. »Heute früh lag ein ganzer Stapel davon auf dem Tisch in der Eingangshalle, und ich …«
»Du hast es gestohlen?«, rief ich aus. »Nell! Wie konntest du? Hast du noch nie etwas vom Arztgeheimnis gehört? Oder wenigstens von guten Manieren?«
»Wenn ich damit fertig bin, kannst du es auch lesen«, bot Nell an.
»Dann beeil dich.« Ich gab ihr einen leichten Stoß in die Rippen, und während sie die entwendete Niederschrift las, schenkte ich mir eine Tasse Kräutertee aus der Thermosflasche ein, die Sir Poppets Haushälterin gefüllt hatte. Ich trank eine halbe Tasse, dann griff ich nach dem Telefon. Es war Zeit, dass wir uns bei Emma meldeten.
»Ein Laserdrucker und eine schicke kleine Computeranlage«, sagte Emma, als sie meine Stimme hörte. »Ich wünschte nur, er hätte mich gefragt, ehe er den PC kaufte«, fügte sie besorgt hinzu. »Er hat bestimmt zu viel dafür bezahlt.«
»Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, Emma, William zelebriert seine Unabhängigkeit.«
Ich nahm einen Schluck Tee. »Ich nehme an, du hast sein neues Spielzeug zu den anderen Sachen in den Schuppen getan?«
»Das hätte ich, aber …« Emma schwieg. »Du weißt doch von dem leeren Haus auf dem Marktplatz, gegenüber von Peggy Kitchens Laden? Also, Peggy kam heute Morgen mit ihrem Lieferwagen und ein paar Leuten vorbei. Sie sagte, sie solle alles abholen, was ursprünglich an deine Adresse geliefert wurde, um es in das leere Haus am Markt zu bringen. Irgendjemand hat es wohl gemietet.«
»Vermutlich mein Schwiegervater.« Ich seufzte.
Willis senior würde in Kürze der einzige Rechtsanwalt in seinem Stadtviertel sein, der Kanzleien in Boston, London und Finch hatte. »Tante Dimity wird sich freuen, wenn sie hört, dass er ihr Haus nicht damit verschandeln will. Sie ist übrigens wieder da. Bei mir, meine ich.«
»Mach keinen Quatsch«, sagte Emma. »Bedeutet das, dass William außer Gefahr ist?«
»Im Moment macht es jedenfalls den Eindruck«, sagte ich. »Hast du etwas über Julia Louise zutage fördern können?«
»Hab ich«, sagte Emma. »Ich war den größten Teil der Nacht online mit einem Professor für Rechtsgeschichte aus Oxford in Verbindung. Derek hat mal die Stützmauer seines Gartens in Ordnung gebracht, ohne ihm etwas dafür zu berechnen, deshalb war er jetzt nur zu froh, dass er etwas für mich tun konnte. Er hat mir über die gute alte Julia Louise alles erzählt, was er wusste.«
»Er kannte sie?«
»Sie ist berühmtberüchtigt«, erwiderte Emma.
»Sowie sie aus Bath nach London gezogen war, fing sie an, Einfluss zu nehmen und zu intrigieren.
Sie strengte hunderte von Gerichtsverfahren gegen die Konkurrenten ihrer Söhne an, was sie in der juristischen Welt nicht gerade beliebt machte. Au ßerdem gab es sehr viele Klatschgeschichten dar über, warum sie ihren jüngeren Sohn in die Kolonien abgeschoben hatte.«
»Was für Klatschgeschichten?«
»Das hatte etwas mit einer Frau zu tun«, erklärte Emma. »Mein Professor war sich nicht sicher, ob er sie geschwängert oder die Verlobung gelöst hatte oder was sonst. Er muss sich dann aber zusammengenommen haben, als er einmal drüben war, denn er hat sich gut verheiratet.«
»Moment mal.« Ich deckte meine Hand über den Hörer und erzählte Nell, was ich gehört hatte.
»Frag Mama, ob sie weiß, wie Williams Frau hieß«, sagte Nell.
Ich gab die Frage an Emma weiter, dann teilte ich Nell die Antwort mit. »Charlotte Eugenie Stoll.
Ihr Vater muss ein ziemlich großes Tier in den Kolonien gewesen sein.«
»Hmmm«, sagte Nell und wandte sich wieder ihrem Protokoll zu.
»Was war mit dem älteren Sohn?«, fragte ich Emma.
»Sir Williston? Er war Julia Louises Mann fürs Grobe, er tat alles, was Mama sagte. Obwohl …«
Ich hörte, wie Emma einen Stapel Papier durchsuchte, dann sprach sie weiter. »Nach ihrem Tod wurde er so was wie ein Heiliger. Er spendete Geld und unterstützte mehrere Armen und Waisenhäuser.«
»Das klingt, als ob er sich von Julia Louise distanzieren wollte«, bemerkte ich. »Keine schlechte Idee.«
»Ich habe auch noch etwas über Gerald, wenn es dich interessiert«, sagte Emma. »Es hat etwas damit zu tun, warum er aus der Firma
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