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Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief

Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief

Titel: Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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durchgehende Nummerierung war nicht zu erkennen.

    »Chalmers, fünfhundert«, murmelte ich beim Überfliegen. »Carrington-Smith, zweihundertfünfzig.
    Mehta, siebenhundert. Formby, dreihundert …«
    Die Namen sagten mir nichts. Ich nahm an, dass sie Geschäftsleuten gehörten, bei denen Miss Beacham Rechnungen beglichen hatte, und dass Stanley den zerknüllten Zettel im Büro unter dem Schreibtisch gefunden hatte, wo er nach einem schlecht gezielten Wurf – von einer schwachen Hand vielleicht? – neben dem Papierkorb auf dem Boden gelandet war.
    Begierig darauf, mir Cynthia Asquiths Notizbuch vorzunehmen, schob ich die Liste zur Seite.
    Damit verrutschte auch die Schreibunterlage aus grünem Leder.
    »Du Tollpatsch!«, schimpfte ich mich entsetzt.
    »Jetzt hast du sie kaputtgemacht!«
    Ich blickte ängstlich über die Schulter. Halb erwartete ich, dass Mr Moss aus heiterem Himmel auftauchte und mich zur Schnecke machte. Als er ausblieb, legte ich das Asquith-Notizbuch auf den Boden und versuchte, die Schreibunterlage genau da zu platzieren, wo sie hingehörte. Zu meinem Schrecken zerbröckelte sie in meinen Händen.
    »Damit ist der Fall klar«, erklärte ich dem Lederlappen auf dem Satinholz. »Jetzt weiß ich, welches Möbelstück zu mir nach Hause kommt.«

    Mit einem verlegenen Lächeln über meine übertriebene Angst vor dem höflichen Mr Moss ließ ich das abgefallene Ende der Unterlage auf meinen Schoß sinken – und hörte jäh auf zu lächeln. Ungläubig blinzelnd beugte ich mich vor und starrte in das hohle Fach, das die Schreibunterlage bedeckt hatte. Ein Stofftier lag darin und starrte zurück. Es war ein mit einem Schottenrock bekleideter Igel.
    »Hamish?«, sagte ich.

8
    UM REALISMUS WAR es dem Schöpfer des Igels nicht gegangen. Hier handelte es sich um ein Fantasietier, eines von der gemütlichen Sorte in übergroßen grünen Schuhen, das fröhlich pfeifend über eine Blumenwiese latschte und seinen Freunden aus dem Wald frohgemut zuwinkte.
    Aus dem Wald? Nein, aus den Highlands , verbesserte ich mich mit einem Blick auf den Schottenrock.
    Der Kilt war rot, schwarz und blau kariert und wirkte ziemlich ramponiert. Die Falten waren ausgeheult, der Stoff war schmutzig und der Saum zerschlissen. Auch der Igel selbst hatte schon bessere Tage gesehen. Seine braunen Knopfaugen waren zerkratzt und matt, seine Stoffstacheln lagen an einigen Stellen schlaff auf dem Rücken, und eine früher mal flauschige vordere Pfote war platt gerieben, als hätte sie eine Kinderhand im Laufe von vielen Jahren zerdrückt.
    Mir fiel wieder das sonderbare Lächeln ein, das um Miss Beachams Lippen spielte, als sie geflüstert hatte: »Hamish. Ich vermisse Hamish.« Dasselbe liebevolle, wenn auch verlegene Lächeln wäre wohl auch über mein Gesicht gehuscht, wenn ich jemandem, den ich nicht sehr gut kannte, von Reginald erzählt hätte. Erwachsene Frauen hängen ihre kindlichen Neigungen nicht gern an die große Glocke.
    Ich hatte keinen Zweifel daran, dass Hamish ein Überbleibsel aus Miss Beachams Kindheit war und sie ihn genauso geliebt hatte wie ich meinen rosa Stoffhasen. Jetzt wünschte ich mir verzweifelt, ich hätte den Mut gehabt, ihr von Reginald zu erzählen. Hätte ich das getan, wäre ihr Vertrauen zu mir vielleicht groß genug gewesen, um mich zu bitten, ihren alten Freund zu ihr zu bringen, damit er sie an den letzten ihr verbleibenden Tagen auf dieser Welt tröstete.
    Ich nahm den kleinen Igel aus seinem geheimen Fach, strich seinen Kilt glatt, richtete die eingedrückten Stacheln auf und stellte ihn auf das Pult.
    »Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen, Hamish«, sagte ich ernst. »Aber leider muss ich dir eine schlechte Nachricht überbringen. Miss Beacham ist gestern gestorben. Trotzdem brauchst du dir jetzt keine Sorgen zu machen. Ich lasse dich nicht allein. Du kannst zu mir ziehen. Du und Reginald, ihr werdet euch bestimmt prima verstehen.«

    Die Augen des Igels blieben matt und ausdruckslos. Vielleicht, überlegte ich, konnte nur ein Kind, das sein Spielzeug innig liebte, seine Züge lesen.
    Schließlich waren auch Reginalds Augen für Fremde nichts weiter als zwei polierte schwarze Knöpfe.
    Für mich aber redeten sie wie ein Buch.
    Ich gab Hamish einen freundschaftlichen Klaps und wollte ihn gerade wieder im Pult einschließen, als ich bemerkte, dass sein Fach eine weitere Überraschung für mich bereithielt. Hamish hatte auf einer Art Büchlein gelegen, das wie ein in genarbtes Leder

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