Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
Honig um den Mund schmieren.«
Gabriels Lächeln wurde breiter. »Wie kann ich da nein sagen? Aber einen Rat müssen Sie sich schon jetzt anhören: Den Gefallen hätten Sie erst erwähnen dürfen, nachdem Sie sich bei mir lieb Kind gemacht haben. Ein guter Diplomat weiß immer, wann die Wahrheit angebracht ist.«
»Prima Tipp.« Ich hängte mich bei ihm ein und lotste ihn zurück zur Travertine Road. »Ich werde ihn beherzigen.« Wir waren noch keine zehn Schritte gegangen, als Gabriel abrupt stehen blieb und nervös auf mich hinabsah. »Sie wollen doch nicht etwa mit mir anbandeln, oder?«
»Nein«, versicherte ich ihm und ließ seinen Arm los. »Ich habe ganz bestimmt keinerlei Absichten mit Ihnen.«
»Gott sei Dank.« Im selben Atemzug schienen ihm schon Bedenken zu kommen, er könne mein zerbrechliches Ego verletzt haben, denn hastig fügte er hinzu: »Nicht, dass mir das nicht geschmeichelt hätte, verstehen Sie. Ich bin nur gegenwärtig nicht dazu bereit.«
Ich legte die Hand aufs Herz und erklärte im Brustton der Überzeugung: »Sie haben nichts von mir zu befürchten.«
»Schön.« Er rieb sich die Hände. »Ich habe einen Mordshunger. Ein paar Häuser weiter gibt es ein tolles indisches Restaurant. Hätten Sie Lust, es mal damit zu probieren?«
»Darauf können Sie Gift nehmen«, sagte ich und verkniff mir einen Jubelschrei.
Gabriel war eindeutig Stammgast im Gateway to India. Der Kellner begrüßte ihn mit seinem Namen – auch wenn er ihn förmlich mit Mr Ashcroft und nicht mit Gabriel ansprach – und führte uns zu einem Tisch in einer ruhigen Ecke, wo er uns aufmerksam, aber unaufdringlich bediente. Wir speisten lange und gemütlich. Die erste Zeit verbrachte ich damit, den verwickelten Hintergrund meiner eigenartigen Suche zu erklären. Eine Zeit lang schwieg Gabriel nur und stellte auch keine Fragen.
Er aß bedächtig und gestattete mir, meinen Redeschwall zu unterbrechen und mir zwischendurch auch ein paar Bissen in den Mund zu schieben. Als ich ihm schließlich Miss Beachams Liste reichte, sah er nicht sie an, sondern mich.
»Jetzt kann ich verstehen, warum Sie gestern die Fassung verloren haben«, sagte er. »Sie wollten Miss Beacham besser kennenlernen und haben keine Gelegenheit dazu bekommen. Ich hatte unzählige Gelegenheiten dazu und habe sie alle vergeudet.
Sie müssen mich für einen gedankenlosen, egoistischen Blödmann halten.«
»Na ja …« Ich rutschte unbehaglich auf meinem Stuhl herum.
»Schon gut«, beschwichtigte mich Gabriel.
»Stimmt ja auch. Ich war in letzter Zeit meistens auf mich selbst fixiert. Es ist durchaus hilfreich, wenn einem von Zeit zu Zeit die eigenen Fehler unter die Nase gerieben werden.«
»Aber nicht ausgerechnet von mir!«, beharrte ich. »Wenn ich alle meine Fehler in eine Schachtel packen würde, könnten Sie sie gar nicht heben, geschweige denn mir unter die Nase reiben.«
»Mag sein.« Gabriel beugte sich über die Namensliste. »Glauben Sie, dass diese Leute was über Kenneths Verbleib wissen könnten?«
»Womöglich, ja«, antwortete ich. »Es ist ein Versuch aufs Geratewohl, aber …«
»Nicht notwendigerweise.« Gabriel sah zu mir auf. »Jeder einzelne von den Namen hier ist mir ein Begriff. Das sind alles Ladeninhaber in der Travertine Road. Wenn wir einen Stadtplan von Oxford hätten, könnte ich …«
»Aber wir haben ja einen! Das heißt, ich habe einen.«
Ich griff in meine Umhängetasche und zog die Karte heraus, mit deren Hilfe ich die St. Cuthbert Lane gefunden hatte. »Ich verirre mich ständig«, fügte ich zur Erklärung hinzu und schob den Stadtplan über den Tisch.
Mit einem rätselhaften Lächeln meinte Gabriel:
»Auf dieser Strecke werden Sie sich nicht verirren.«
Er schlug den Stadtplan auf und musterte ihn, um ihn dann so zusammenzufalten, dass ein Quadrat von fünfzehn mal fünfzehn Zentimetern obenauf lag.
»Das ist die Travertine Road, sehen Sie.« Er zeichnete die Straße mit der Fingerspitze nach. »Und die Läden auf Miss Beachams Liste sind hier.« Sein Finger wanderte auf derselben Linie weiter.
»Hm«, machte ich überrascht. »Ich dachte, die Geschäfte würden sich alle an der Kreuzung St.
Cuthbert und Travertine ballen, aber das stimmt ja gar nicht. Sie liegen auf einer Linie, die sich die Travertine Road hinunterzieht.«
»Und was noch merkwürdiger ist«, bemerkte Gabriel, »sie liegen alle auf derselben Straßenseite.«
Schweigend starrten wir den Stadtplan an.
»Das bedeutet doch sicher
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