Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
irgendwas«, murmelte ich.
»Wenn ich raten müsste«, überlegte Gabriel,
»würde ich sagen, dass die Läden auf einem bestimmten Weg lagen, den Miss Beacham häufig benutzte – auf dem Weg zu und von einer Arbeitsstelle vielleicht.« Er fasste sich nachdenklich ans Kinn. »Sind Sie sicher, dass sie Rentnerin war?«
»Eigentlich nicht. Ich dachte nur, sie wäre Rentnerin, weil sie so alt und gebrechlich aussah, als ich sie kennenlernte. Aber tatsächlich war sie erst …«
– ich rechnete im Kopf nach – »… achtundvierzig Jahre alt, als sie ihre Stelle in London aufgab und nach Oxford zog. In diesem Alter und mit ihrer Erfahrung hätte sie jederzeit was Neues finden können, wenn sie gewollt hätte.«
»Vielleicht hat sie das auch getan. Folgen wir doch der Linie und schauen, wohin sie uns führt.«
Gabriel reichte mir den Stadtplan zurück. »Von Verkäufern, die täglich im Laden stehen, können wir vielleicht mehr erfahren als von ihren Chefs.«
»Wir?«, fragte ich freudig. »Sie haben wir gesagt. Heißt das, dass Sie bereit sind, mir zu helfen?«
Gabriel lehnte sich zurück und sah mir mit festem Blick in die Augen. »Ich habe viel über das nachgedacht, was Sie mir gestern Abend gesagt haben – na ja, wohl eher, was Sie mir hingeknallt haben.« Er seufzte. »Sie hatten vollkommen recht, Lori. Ich war Miss Beacham kein guter Nachbar.
Es ist ein bisschen zu spät, um das wiedergutzumachen, aber ich möchte es wenigstens versuchen. Ob ich Ihnen wirklich von Nutzen sein kann, weiß ich allerdings nicht. Ich kenne die Läden in der Travertine Road, aber nicht ihre Inhaber. Normalerweise plaudere ich nicht mit Verkäufern.«
»Ich schon«, schmunzelte ich. »Ich plaudere mit jedem. So bin ich einfach. Von Natur aus gesprä chig. Darum brauchen Sie gar nicht viel zu reden.
Hauptsache, Sie sind dabei und zeigen Ihr Gesicht.
Ich habe die Theorie, dass die Leute sich unbefangener mit mir unterhalten werden, wenn sie mich zusammen mit jemandem sehen, den sie kennen.«
Ich blickte ihn besorgt an. »Das könnte allerdings ganz schön zeitaufwändig werden. Das gehört beim Plaudern einfach dazu. Können Sie so viel Zeit erübrigen, nur um eine gute Tat zu tun?«
»Ich bin Künstler. Porträtmaler. Ich kann mir meine Zeit selbst einteilen, und Miss Beachams letzten Willen zu erfüllen scheint mir eine äußerst achtbare Weise, sie zu verbringen.«
Das hätte ein anrührender Moment sein können, hätte ich ihn nicht mit einem Ausruf kaputtgemacht. »Ach, deshalb war Ihre Jogginghose voller Farbkleckse!«
Gabriel verbarg stöhnend den Kopf in den Händen. »Das war meine Atelierhose. Ich war zu faul, um mich noch mal umzuziehen. Sie müssen mich ja für einen Penner gehalten haben.«
»Bestimmt nicht«, log ich. »Ich habe Sie für einen typischen Engländer gehalten, der sich für einen gemütlichen Abend daheim vor dem Fernseher angezogen hat.«
»Gut gesagt«, lachte er. »Sie werden eine Bilderbuchdiplomatin abgeben.«
Ich verstaute den Stadtplan und Miss Beachams Liste in meiner Umhängetasche, um mich endlich unserem Essen zu widmen. Gabriel erzählte von seiner Arbeit – »wo immer sich große Egos rumtreiben, finden sich auch Porträtmaler, und in Universitätsstädten wimmelt es von großen Egos« –
und ich von meiner Familie und Finch. Erst beim Mango-Eis brachte ich den Mut auf, ihm die Frage zu stellen, die an mir genagt hatte, seit Gabriel mir seinen Beruf verraten hatte.
»Verzeihen Sie mir, wenn ich es so sage, aber ist Stanley nicht ein schrecklich prosaischer Name für den Kater eines Künstlers? Ein Maler sollte seinen Kater Raffael nennen oder van Dyck – irgendwas Künstlerisches.«
»Vielleicht, aber meine Ex-Frau ist keine Malerin. Und Stanley ist ihr Kater. War ihr Kater«, verbesserte er sich. »Sie hat uns beide vor einem Jahr verlassen.«
»Ach«, seufzte ich und wünschte mir, ich hätte die Frage für mich behalten, »das tut mir leid.«
»So was passiert eben«, meinte Gabriel mit einem philosophischen Achselzucken. »Sie ist mit einem Wirtschaftsdozenten durchgebrannt. Da liegt der Schluss nahe, dass wir wohl von Haus aus nicht die perfekten Seelengefährten waren.«
»Trotzdem muss es schwer für Sie sein«, sagte ich teilnahmsvoll. »Ist das der Grund, warum Sie so erleichtert waren, als ich Ihnen versprochen habe, nicht mit Ihnen zu flirten?«
Gabriel nickte. »Von jetzt an gibt es nur noch mich, meine Arbeit und Stanley – unter Ausschluss von
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