Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
entgegen.
Durch die nasskalte Luft drang der Klang von Kirchenglocken zu uns herüber. Gabriel sah auf die Uhr. »Schon drei. Wenn Ihr Freund Julian den Anruf gemacht hat, wird Father Musgrove längst auf Sie warten.«
»Dann lassen Sie uns hingehen«, sagte ich und setzte mich Richtung St. Paul’s Church in Bewegung.
St. Paul’s war eine große und verhältnismäßig moderne Kirche – wobei ›modern‹ in einem Land, das mit tausendjährigen oder noch älteren Kirchen übersät ist, immer ein relativer Begriff ist. Ging es nach den Buntglasfenstern und den marmornen Engeln im kleinen, mit schattenspendenden Bäumen bestandenen Kirchhof, stammte St. Paul’s aus der frühen viktorianischen Zeit. Das Gebäude wirkte gut erhalten, und das Anschlagsbrett war mit Mitteilungen aller Art zugepflastert – beides Anzeichen einer blühenden, regen Gemeinde.
Gabriel hielt mir das schmiedeeiserne Tor zum Kirchhof auf und folgte mir dann auf dem Kiesweg zum Südportal, wo uns eine Horde von miteinander schwatzenden jungen Frauen mit ihren kleinen Kindern im Schlepptau fast über den Haufen rannte. Einige blickten Gabriel im Vorbeigehen an, doch ihr Lächeln schien ihn nur zu verwirren.
Während sie ihm zublinzelten, verschränkte er die Arme, zog den Kopf ein und tat so, als wäre er nicht da.
Das Ende der Gruppe bildete ein rotbackiger älterer Mann, der sie mit lauter Stimme an einen bevorstehenden Flohmarkt erinnerte. Er trug einen zerknitterten schwarzen Anzug und darunter einen Stehkragen. Seinen kahlen Kopf säumte ein Ring aus schlohweißem Haar. Als er mich bemerkte, zog er lächelnd eine Augenbraue hoch.
»Mrs Shepherd.« Seine Stimme war tief und angenehm.
»Ja?«, fragte ich überrascht.
»Father Musgrove«, stellte er sich vor. »Ich stehe Ihnen zur Verfügung. Julian Bright hat Sie zutreffend beschrieben, Lori. Und er hat mir auch von Ihrer Vorliebe für Vornamen berichtet.« Der Kirchenrektor richtete den Blick fragend auf Gabriel, und ich machte die beiden Männer miteinander bekannt.
»Julian hat mir auch ein bisschen von Ihrer Suche erzählt«, nahm Father Musgrove den Faden wieder auf. »Ich glaube ja nicht, dass ich Ihnen von großer Hilfe sein kann, aber ich sage Ihnen gern alles, was ich weiß. Kommen Sie doch mit rein.«
Gabriel und ich folgten dem Pfarrer durch die mit Kerzen beleuchtete Kirche, wo jeder Schritt widerhallte, in einen großen Raum, der hinter der Sakristei lag. Dort sah es aus wie in einer Kinderschule: fröhliche Bilder an den Wänden, winzige Stühle an langen, niedrigen Tischen. Aber an der hinteren Wand war eine Stuhlreihe für Erwachsene aufgestellt.
»Hoffentlich stört es Sie nicht, dass wir in einem Raum für Kinder miteinander sprechen«, entschuldigte sich Father Musgrove, während er drei von den großen Stühlen zu einem Kreis arrangierte.
»Mrs Formby putzt heute das Pfarrhaus. Die Nachricht von Miss Beachams Tod hat sie erschüttert, und da möchte ich sie nicht zusätzlich mit Besuchern belasten.« Nun nahm der Pfarrer uns gegenüber Platz und faltete die Hände lose im Schoß.
»Hat Ihre Putzfrau einen besonderen Grund, sich Miss Beachams Tod so zu Herzen zu nehmen?«, erkundigte ich mich.
»Allerdings.« Father Musgrove runzelte besorgt die Stirn. »Aber das ist eine ziemlich lange Geschichte.«
»Wir sind nicht in Eile, wenn Sie es nicht sind«, versicherte ich ihm.
»Also gut.« Der Geistliche wandte sich an Gabriel. »Erinnern Sie sich an den Überfall auf die Boutique Carrington-Smith Anfang letzten Jahres?«
»Ja. Wenn ich mich richtig entsinne, wurde Ms Carrington-Smith dabei sogar zusammengeschlagen.«
Der Pfarrer nickte ernst. »Miss Beacham machte eine junge Frau ausfindig, die sich um den Laden kümmerte, bis Ms Carrington-Smiths Blutergüsse sich zurückgebildet hatten. Die Helferin bewährte sich so prächtig, dass sie jetzt als Teilhaberin mitarbeitet. Sie heißt Tina Formby. Ihr Vater ist der Apotheker hier in der Straße, und ihre Mutter ist meine Putzfrau.«
»Mrs Formby?«, fragte ich.
»Ja.« Father Musgrove legte die Daumen aneinander. »Mr und Mrs Formby hatten sich schreckliche Sorgen gemacht, weil Tina damals eine wilde Phase hatte. Für sie stand schon so gut wie fest, dass es ein schlimmes Ende mit ihr nehmen würde, aber die Arbeit in der Boutique gab Tina eine neue Perspektive. Sie hat ihr Leben neu geordnet, Ms Carrington-Smith hat eine begeisterte Partnerin, die zudem jüngere Kundschaft anzieht, und die Formbys können
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