Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
breit!«
»Vielleicht sollte ich mir ein paar zulegen«, meinte Gabriel düster. »Sie würden für etwas Leben sorgen.«
Oder ein Streichholz und ein Eimer Kerosin, dachte ich für mich und legte mir den laut schnurrenden Stanley auf die Schulter.
»Meine Frau – meine Ex-Frau – hat die meisten Möbel mitgenommen, als sie mich verlassen hat«, erklärte Gabriel.
»Aber sie hat dich verlassen!«, protestierte ich.
»Da hätte ich eher nach der Axt gegriffen und alles zu Kleinholz geschlagen, bevor ich sie auch nur mit einem Aschenbecher hätte ziehen lassen.«
»Ich wollte nichts mehr davon sehen«, sagte Gabriel ruhig. »Wir hatten alles zusammen gekauft, weißt du. Es hätte nur … absurde Hoffnungen geweckt.« Er kraulte Stanley am Kinn. »Und wie Stanley gern bestätigen wird, verbringe ich hier nicht viel Zeit. Ich lebe mehr im Atelier.«
Armer alter Stanley, dachte ich und strich dem schwarzen Kater über den schlanken Rumpf. Trockenfutter, kein Garten hinter dem Haus, keine Spielgefährten. Das war doch kein Leben für eine Katze!
»Ich sollte ihn jetzt füttern«, brummte Gabriel und nahm mir Stanley ab. »Bleib einfach sitzen; ich bin gleich wieder da.«
Zu meiner Erleichterung lud er mich nicht in die Küche ein. Der Anblick einer einsamen Müslischüssel, die verloren in der Spüle stand, hätte mein weiches Herz wie Brei zerfließen lassen. Den Kunstledersessel fand ich aber auch nicht gerade berauschend, sodass ich zum Arbeitstisch hinüberschlenderte. Darauf herrschte peinliche Ordnung.
Pinsel, Lineale, Pastellkreiden, Kohlestifte und Skizzenblöcke – alles lag an seinem speziellen Platz, und die an der Tischkante festgeklemmte Gelenkleuchte funktionierte einwandfrei.
In der Mitte der Arbeitsplatte befand sich ein Stapel loser Bögen, auf denen jeweils mit Kohlestift Männerhände skizziert worden waren, immer wieder dieselben. Während ich die Skizzen durchblätterte, wurde mir klar, dass Gabriel nicht bloß gut war, sondern eine besondere Gabe hatte. Jede Zeichnung offenbarte an den Händen etwas ganz Eigenes. Eine hob ihr Alter hervor, eine andere ihre Kraft und eine dritte kombinierte mit unglaublichem Gefühl fürs Zarte Alter und Kraft zusammen.
»Du schnüffelst?« In meinem Rücken war Gabriel herangetreten.
»Klar.« Ich hielt die Skizzen hoch. »Wessen Hände sind das?«
»Sie gehören einem berühmten Botaniker«, antwortete Gabriel. »Du wirst ihn nicht kennen.«
»Dass du dich da mal nicht täuschst«, entgegnete ich und betrachtete erneut die Zeichnungen eine nach der anderen. »Ich sehe ihn förmlich in der Erde graben, Samen einsetzen und hartnäckiges Unkraut ausreißen – das alles spricht daraus, aus diesen Händen.« Ich sah zu Gabriel auf. »Du bist wirklich gut.«
»Ich bin ein wirklich guter Lügner.« Gabriel nahm mir die Zeichnungen ab und schob sie in eine Mappe. »Der Mann ist ein trockener Theoretiker. In Wahrheit sind seine Hände weich wie Wachs, bloß die hier sind so, wie er sie haben wollte, und darum hat er sie eben so gekriegt.«
»Sollte denn nicht auch die Fantasie in der Kunst ihren Raum haben?«, fragte ich.
»Porträts sollten die Wahrheit ausdrücken.« In Gabriels Stimme hatte sich unüberhörbar eine Spur Selbstverachtung geschlichen. »Vielleicht nicht die ganze Wahrheit, aber wenigstens einen wahren Kern. Meine sind die reinste Schmeichelei. Ich bin ein schlauer Auftragsmaler, Lori. Das ist das Geheimnis meines Erfolgs.« Er lehnte die Mappe an die Wand und deutete mit dem Kinn auf den Stapel Telefonbücher, der ein Ende des Arbeitstischs stützte. »Wollen wir mit der Suche anfangen? Ich habe das aktuelle Telefonbuch aus der Küche geholt. Dasjenige, das wir brauchen werden, müsste das zweite von unten sein.«
Er hielt die Tischplatte, während ich das alte gegen das neue Telefonbuch austauschte. Dann legte ich das alte Verzeichnis auf den Tisch und blätterte es bis zu der Seite durch, auf der Kenneth Beacham hätte stehen müssen.
»Er ist nicht eingetragen«, stöhnte ich zutiefst enttäuscht. »Kenneth scheint großen Wert auf Anonymität gelegt zu haben.«
»Es ist nicht ungewöhnlich, dass jemand mit einem großen Vermögen die Tilgung aus den Fernsprechverzeichnissen verlangt«, kommentierte Gabriel. »Wegen seiner teuren Anzüge unterstellen wir einfach mal, dass er wohlhabend war.«
Seufzend klappte ich das Telefonbuch zu. »Wir sind gegen eine Mauer gelaufen. Keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen
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