Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
wegen eines Schriftsatzes für einen besonders pingeligen Mandanten kurzfristig nach Paris hatte fliegen müssen. Umso überraschter war er, von mir zu erfahren, dass Miss Beacham für Pratchett & Moss gearbeitet hatte, und wie Gabriel zeigte er sich überzeugt, dass ihre Doppelrolle als Mandantin und Angestellte Mr Moss keine andere Wahl ließ, als auf absoluten Schutz ihrer persönlichen Daten zu achten.
»Damit dürfte erklärt sein, warum sich Mr Moss in Bezug auf Miss Beachams Angelegenheiten so zurückhaltend gibt«, hatte er gesagt. »Auf alle Fälle ist das der Grund, warum er die Akten vor Joanna Quinn versteckt. Joanna stand in Miss Beachams Schuld. Sie wäre nicht in der Lage, den Fall unvoreingenommen zu betrachten.«
Auf meine nicht gerade wohlwollende Interpretation von Mr Moss’ Verhalten – »Er will , dass Kenneth unauffindbar bleibt, damit er sich einen größeren Anteil an Miss Beachams Geld schnappen kann!« – hatte Bill nur überaus pointiert geantwortet, dass er doch sehr hoffe, niemand würde Joanna dazu ermutigen, Mr Moss’ Schreibtisch aufzubrechen und Miss Beachams Testament zu lesen.
Ich hatte ihm hoch und heilig geschworen, dass Joanna so etwas nie tun würde, und mich eilig ins Büro verzogen, um meine Schamesröte zu verbergen und Emma anzurufen.
Der undichte Wassertank und tausend in letzter Minute aufgetretene Notfälle hatten die Internetrecherche in den hintersten Winkel von Emmas Gehirn verbannt. Zwar hatte sie mir versprochen, der Suche ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen, sobald sie eine freie Minute hatte, doch das lief im Endeffekt darauf hinaus, dass ich die Ergebnisse wahrscheinlich erst zu sehen bekommen würde, wenn wir beide tattrige Greisinnen waren.
Seufzend wünschte ich nun den Sternen eine gute Nacht, kehrte ins Cottage zurück und schlüpfte leise ins Büro. Ich hatte meine Gedanken gesammelt, jetzt war ich bereit, sie Tante Dimity vorzutragen.
Ich schmiegte mich gemütlich in den Ledersessel vor dem Kamin, öffnete das Buch und erklärte ohne Umschweife: »Ich bin froh, dass ich deinem Rat gefolgt bin und mit den Leuten geredet habe, Dimity. So habe ich viel mehr erfahren, als wenn ich mich auf Emmas Computer verlassen hätte.«
Und schon kringelten sich die vertrauten kö nigsblauen Schriftzeichen über die Seite. Hast du etwas Wertvolles erfahren?
Ich erzählte ihr von den beeindruckenden Plaudereien, die Gabriel solo mit den Ladeninhabern geführt hatte – einschließlich des interessanten Details über Mr Balcoes Fußballen –, von Blinkers nützlichem Tipp, Joanna Quinns Geschichte und Big Als erstaunlicher Offenbarung.
Schließlich meinte ich kopfschüttelnd: »Als ich Miss Beachams Wohnung zum ersten Mal gesehen habe, habe ich sie mir vorgestellt, wie sie jeden Abend allein dasaß und Patiencen legte, aber wenn ich bedenke, dass sie bei Pratchett und Moss eine Vollzeitstelle hatte, in der Freizeit Hunderte von Rosinenbroten backte und sich so ziemlich um jeden kümmerte, den sie kannte, glaube ich nicht mehr, dass sie viel Zeit mit Kartenlegen verbrachte.«
Die Wohnung muss nach den Anstrengungen der langen Arbeitstage eine himmlische Zuflucht für sie gewesen sein .
Ich nickte. »Ich denke mir, dass das der Grund ist, warum sie niemanden zu sich eingeladen hat.
Sie muss sich nach Frieden und Ruhe gesehnt haben, wenn sie die Tür hinter sich zumachte, vor allem zum Schluss, als ihre Krankheit ihr mehr und mehr zusetzte.«
» Jede Frau braucht einen Bereich für sich allein .
Das hast du gut gemacht , Lori . So langsam sehe ich ein Muster in den Informationen , die du gesammelt hast .«
»Wirklich?«, fragte ich skeptisch. »Was für eines?«
Elizabeth und Kenneth sind in einer eng verbundenen Familie aufgewachsen . Wenn es nach dem Fotoalbum geht , ist die Familie einmal im Jahr zusammen nach Brighton gefahren , auch dann noch , als die Kinder groß waren . Das endete erst , als Kenneth aus uns unbekannten Gründen beschloss , sich abzusetzen . Wie alt dürfte er damals gewesen sein?
Ich stand auf. »Warte einen Moment. Ich schau nach.«
Ich holte das Album vom Eichenschreibtisch, überflog die Daten zu den Fotos und nahm wieder das Notizbuch zur Hand.
»Als er zum letzten Mal im Album auftauchte, war er vierundzwanzig«, erklärte ich.
Im Alter von vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Jahren trennte sich Kenneth Beacham von seiner fest zusammengewachsenen Familie . Viele Jahre vergingen . Miss Beacham arbeitete in einer Londoner
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