Tante Dimity und die unheilvolle Insel
ich einen Grund bräuchte, nach Erinskil zurückzukehren, dann wäre es das nächtliche Firmament.
Oder das Gespenst.« Er hielt nachdenklich inne.
»Ja, unser Gespenst mag ich wirklich gern.«
Ich war froh, dass ich meine Suppe schon aufgegessen hatte, sonst hätte ich wohl die schöne Leinenserviette befleckt. Dennoch stieg meine Stimme um einige Oktaven. »Dundrillin ist verwunschen? «, keuchte ich.
»Nicht direkt«, sagte Percy. »Aber wir sind nicht weit von einer solchen Stelle entfernt.« Er schluckte eine Gabel voll pochiertem Spinat und deutete mit dem Kinn Richtung Fenster. »Es hat hier mal einen Burschen gegeben, weißt du, einen gewissen Bruder Cieran …«
»Den meditierenden Mönch!«, unterbrach ich ihn. »Damian hat mir von ihm erzählt. Er ist immer zu der winzigen Insel rausgerudert, die ich von meinem Balkon aus sehen kann. Sie heißt Cieran’s Chapel, nicht wahr?«
»Stimmt«, bestätigte Percy. »Der Legende zufolge war er dort draußen und betete, als die Wikinger im Hafen an Land gingen. Sie plünderten das Dorf, brachten alle Bewohner um und zogen weiter, um sich das Kloster vorzunehmen. Als Bruder Cieran zurückkehrte, waren sie schon wieder weitergezogen, aber das Kloster hatten sie ausgeraubt und alle Mönche erschlagen. Nachdem er seine Brüder und seine Schäfchen christlich beerdigt hatte, ruderte Cieran zu seiner kleinen Insel zurück. Dort angekommen, stieß er das Boot ins Meer hinaus – wie es heißt, um sich selbst dafür zu bestrafen, dass er nicht mit den anderen zugrunde gegangen war. Außerdem wird gemunkelt, dass sein gequälter Geist immer noch dort lebt und in alle Ewigkeit für die Seelen der Toten betet.«
Ich unterdrückte ein Schaudern. »Hast du den Geist schon mal gesehen?«
»Leider nein. Aber ein paar von meinen Gästen schon. Seine Erscheinung hat sie entweder verängstigt oder erschreckt, aber ich könnte mir vorstellen, dass er in erster Linie mein Mitleid erregen würde. Schon der Großvater des Earl of Strathcairn – der zehnte Earl – war so sehr von der Sage gerührt, dass er sich auf Cieran’s Chapel beerdigen ließ. Er vertraute seinem Enkel an, dass er dem armen Bruder Cieran Gesellschaft leisten wollte.«
»Na, großartig«, murmelte ich.
Percy fuchtelte mit seinem Messer vage in Richtung Süden. »Die Klosterruine ist nur eine Meile von hier entfernt, auf dem Berg über der Stelle, wo man den Ausblick auf den Küstenpfad hat. Es geht die Legende, dass man in manchen Nächten die Schreie der sterbenden Mönche hö ren kann, wenn Mond und Sterne in einer bestimmten Konstellation zueinander stehen.«
Seine makabren Worte hallten noch in mir nach, als plötzlich der Lüster flackerte und erlosch. Unversehens war der ganze Raum in Dunkelheit getaucht. Ich schnappte nach Luft und hätte mir fast eine mit Lammbraten beladene Gabel ins Gesicht gerammt. In meinem Schreck stieß ich gegen mein Glas, und es kippte um.
»Ganz ruhig, Lori.«
Ein Streichholz flammte auf, doch in seinem Licht wirkte Percys Gesicht so unheimlich und verzerrt, dass ich seinem Rat unmöglich folgen konnte. Während er die Kerzen in dem silbernen Leuchter anzündete, zitterte ich wie ein in die Enge getriebener Hase.
»Passiert hier ständig.« Percy blies gelassen das Zündholz aus. »Warum, glaubst du, haben wir hier überall Kerzen? Musste die ganze Burg neu verkabeln, verstehst du. Da lässt es sich nicht vermeiden, dass es hin und wieder einen Kurzschluss gibt. Aber die Lichter dürften bald wieder angehen. Mrs Gammidge kennt die Sicherungskästen wie ihre Westentasche.«
Mit immer noch zitternden Händen stellte ich das Wasserglas zurück auf seinen Platz. Zum Glück war es leer gewesen. Als ich mich endlich wieder im Griff hatte, blickte ich meinen Gastgeber argwöhnisch an. »Bist du sicher, dass Mrs Gammidge die Sicherung nicht vorsätzlich rausgezogen hat? Du warst schließlich gerade dabei, mir eine Gespenstergeschichte zu erzählen.«
»Das würde mir nicht mal im Traum einfallen, meine Liebe!«, verwahrte sich Percy. »Die Geschichte ist auch ohne spezielle Effekte unheimlich genug.«
»Da gebe ich Ihnen recht«, ließ sich Damian in strengem Ton vernehmen. »Und wenn Sie wollen, dass Lori heute Nacht noch ein Auge zubringt, würde ich vorschlagen, dass Sie zu einem etwas weniger unheimlichen Thema wechseln.«
»Gern«, antwortete Percy verlegen. Er überlegte kurz. »Hab ich dir schon von dem tauben Ziegenhirten erzählt, dem ich in China über den Weg
Weitere Kostenlose Bücher