Tante Dimity und die unheilvolle Insel
schlecht.
Da könnte die Suche nach einem Mann schnell zu einer Suche nach zwanzig ausarten. Ich verfolge seine Spur allein.«
»O nein, das werden Sie nicht!«, widersprach ich. »Ich komme mit.«
Damian legte die Stirn in Falten. »Das denke ich nicht.«
»Dann denken Sie noch mal drüber nach«, erklärte ich entschieden.
Damian straffte die Schultern. »Lori, Sie kommen nicht …«
»An Ihrer Stelle würde ich mir den Atem sparen, alter Junge«, warf Percy ein. »Ich kenne Lori länger als Sie.«
Nun straffte auch ich die Schultern und erklärte Damian in aller Ruhe die Situation. »Peters Eltern sind nicht nur meine Nachbarn. Sie sind meine besten Freunde. Sie würden keine Gefahr scheuen, wenn das Leben meiner Kinder bedroht wäre. Und wenn Sie glauben, ich würde händeringend hier sitzen bleiben, wenn ihr Sohn in Schwierigkeiten steckt, dann liegen Sie total schief.«
»Sie sehen, Damian«, bemerkte Percy, »sie ist stur wie ein Ziegenbock.«
Ich reckte herausfordernd das Kinn. »Sie werden mich schon in Ketten legen und in den Kerker werfen müssen, um mich hier festzuhalten.«
»Führen Sie mich nicht in Versuchung«, knurrte Damian. Sein Kiefer wirkte bedrohlich angespannt, aber anscheinend wusste er, wann er geschlagen war, denn nach kurzem Zögern gab er zähneknirschend nach. »Sie werden etwas Dunkles und Warmes anziehen müssen.«
»Geben Sie mir fünf Minuten.« Und schon jagte ich an ihm vorbei in den Flur hinaus.
Beim Aufzug holte er mich ein, und gemeinsam fuhren wir zur Suite hinauf, wo ich in Windeseile meine elegante Abendkleidung gegen eine Tweedhose, einen schweren dunkelbraunen Wollpullover, Wollsocken und Wanderstiefel austauschte. Hastig schnappte ich mir auch noch eine Schirmmütze und die Regenjacke, dann rannte ich zurück durchs Wohnzimmer, riss die Tür zum Vorraum auf – und blieb wie angewurzelt stehen.
Ich war hereingeplatzt, als Damian sich gerade den schwarzen Pulli über den Kopf streifte. Er musste die Tür aufgehen gehört haben, denn er zog rasch den Pullover nach unten, um seinen nackten Oberkörper zu verbergen, aber da war es schon zu spät. Ich hatte bereits die Narben gesehen, die wie eine Schlange von den Rippen über die Schulter bis zum Schlüsselbein über seine Haut krochen.
Außerdem hatte ich die Pistole bemerkt. Die tödlich wirkende Automatic steckte unter dem Gürtel in einem Holster. »Sie haben doch gesagt, Sie sind nicht bewaffnet!«, entfuhr es mir.
Gleichzeitig gab ich mir alle Mühe, nicht an die Narben zu denken.
»Als Sie mich gefragt haben, war ich das auch nicht.« Er drehte sich weg, um die Regenjacke überzustreifen und eine schwarze Mütze aufzusetzen, dann kauerte er sich über seine Reisetasche und wühlte darin herum. Als er sich wieder aufrichtete, hatte er zwei Taschenlampen in den Händen, beide mit schwarzem Griff, abgedecktem Leuchtbereich und schwarzer Schlaufe zum Umhängen. Statt mir eine anzubieten, sagte er mit leiser, beschwörender Stimme, als glaubte er immer noch, er könne mich zum Nachgeben bewegen: »Es ist möglich, dass Peter sich einen Knöchel verstaucht oder ein Bein gebrochen hat.
Vielleicht hat er sich auch nur verlaufen. Genauso ist denkbar, dass er auf einer Klippe hockt und beobachtet, wie sich der Nebel über Erinskil ausbreitet. Aber wir glauben beide nicht, dass eines davon der Grund ist, warum er sich hat aufhalten lassen, nicht wahr, Lori?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Wir glauben, dass er in Schwierigkeiten steckt«, fuhr Damian fort. »Wir glauben, dass ihm Leute aufgelauert haben, die vor nichts zurückschrecken, um ihre Geschäfte zu schützen.
Wir machen kein Picknick, Lori. Das ist eine ernste Angelegenheit. Sie gehen ein großes Risiko ein, wenn Sie mich begleiten. Sie können bei Andrew zurückbleiben. Niemand wird Sie deswegen geringer schätzen.«
»Ich gehe mit.« Entschlossen nahm ich ihm eine Taschenlampe aus der Hand und hängte sie mir an der Schlaufe um den Hals. »Abgesehen davon sind Sie mein Leibwächter. Sie dürfen mich nicht allein lassen.«
Seine Lippen zuckten, bis ein widerstrebendes Lächeln über seine Mundwinkel kroch und sich Falten in seinen Augewinkeln bildeten, nur um gleich wieder zu verschwinden. Er packte seine Taschelampe mit festem Griff und marschierte zur Tür. Ich folgte ihm zum Aufzug, und es ging nach unten.
17
ALS WIR DURCH den Seitenausgang des Turms ins Freie traten, erkannten wir die Welt um uns herum kaum wieder. Die atemberaubende Aussicht
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