Tante Dimity und die unheilvolle Insel
auf. »Ich war schon in schlimmeren Notlagen, und bisher habe ich aus jeder einen Ausweg gefunden. Ich muss nur kurz überlegen. Setzen Sie sich erst mal hin. Ich schalte gleich auch meine Taschenlampe aus und will nicht, dass Sie in der Dunkelheit über … irgendwelche Hindernisse stolpern.«
So hockten wir uns nebeneinander auf das Sandhügelchen am Fuß der Treppe. Als Damians Lampe ausging, hüllte uns eine Dunkelheit ein, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Es war, als wä ren wir lebendig begraben. Ich hielt mir die Hand vor Augen, hätte aber ebenso gut blind sein können. Ich sah absolut nichts, spürte jedoch weiterhin das hohläugige Starren von Cierans unglücklichen Mitbrüdern. Panik stieg in mir hoch und drohte, mich zu ersticken. Ich zog die Knie an die Brust und tat mein Bestes, sie hinunterzuschlucken. Damian und ich waren in einer mit Knochen übersäten Höhle gefangen, ohne jede Möglichkeit, um Hilfe zu rufen.
»Na ja«, sagte ich schließlich in die Dunkelheit, »wenigstens ist es hier trocken.«
18
ALS VON DAMIAN keine Reaktion auf meinen tapferen Kommentar kam, schoss mir eine ganz andere Schreckensvision in meinen ohnehin schon von Ängsten geplagten Sinn. »Es bleibt hier doch trocken, oder?«, fragte ich mit bebender Stimme. »Die Flut steigt doch nicht etwa und ertränkt uns?«
»Das ist äußerst unwahrscheinlich«, erwiderte Damian. »Der Sand ist knochentrocken, wenn Sie mir den bildhaften Ausdruck verzeihen, und die Mönche sind hier schon einige Zeit länger als wir. Da sie nicht ins Meer hinausgespült wurden, scheint mir die Annahme einigermaßen sicher, dass uns das auch nicht passiert.«
»Aber einer von ihnen ist ins Meer hinausgespült worden«, erinnerte ich ihn. »Der Schädel, den Rob und Will entdeckt haben, stammt sicher von hier. Percy hat ihn als antik bezeichnet.«
»Er könnte vom übrigen Skelett getrennt worden sein«, mutmaßte Damian. »Ein paar von den Mönchen sind vielleicht …« Seine Stimme erstarb.
Sekunden danach schaltete er seine Taschenlampe an und schritt zielstrebig die Höhle ab, um bei jeder der niedrigen Öffnungen in der Wand zu verweilen. Als ich wissen wollte, was er vorhatte, gebot er mir lediglich Schweigen und machte unbeirrt weiter. Bei der dritten Öffnung angekommen, steckte er den Kopf hinein, lauschte und sog dann die Luft tief durch die Nase ein. »Ja«, sagte er, »das ist die richtige. Kommen Sie mit.«
Dazu musste ich mich nicht zweimal auffordern lassen. Ich rappelte mich auf und folgte ihm durch die Öffnung.
Nachdem Damian anfangs recht forsch drauflosmarschiert war, musste er sich schon bald ducken, um sich nicht den Kopf anzuschlagen.
Einmal wenigstens war ich froh über meine geringe Körpergröße. Ich konnte noch immer aufrecht gehen, obwohl auch ich gehörig aufpassen musste – der Boden war übersät mit Geröll, auf dem man sich leicht den Fuß verdrehen konnte.
Im Weitergehen erklärte mir Damian seine Idee. »Einige Mönche könnten tiefer in die Höhlen vorgedrungen sein als die anderen. Vielleicht haben sie versucht, zum Meer zu fliehen. Der Schädel, den wir in der Bucht gesehen haben, könnte von einem von ihnen stammen. Wenn das stimmt, folgen wir ihren Spuren.«
»Und was haben wir davon?«
»Wenn dieser Tunnel sie zum Meer geführt hat, führt er auch uns dorthin. Warum sollte er nicht uns als Fluchtweg dienen?«
Der Gang bog abrupt nach rechts. Hatte ich zuvor ein vages Rauschen gehört, so wurde das Geräusch jetzt intensiver. Das war eindeutig die Meeresbrandung. Nun wehte uns auch eine kühle Brise entgegen. Nachdem es etwa dreißig Meter abwärts gegangen war, mündete der Stollen in eine große Kammer. Im Lichtschein von Damians Lampe ließen sich auf dem von Sand bedeckten felsigen Boden Treibholz und verfilzter Seetang erkennen. Zehn Schritte führten uns durch die Kammer hindurch zu einem niedrigen Torbogen in der Wand gegenüber. Wir duckten uns darunter hindurch – und bekamen einen höchst bemerkenswerten Anblick geboten.
Wir standen auf einem Felssims, hinter uns die Höhle, vor uns das Meer. Der dichte Nebel hatte sich aufgelöst, denn silbernes Mondlicht glitzerte auf den schäumenden Wellen, die sich mit aller Macht gegen die schimmernde Felswand warfen.
Der Lärm war ohrenbetäubend und die sich heranwälzende See ein einziger Hexenkessel, sodass wir den glitschigen äußeren Rand des Felsvorsprungs tunlichst mieden. Damian studierte das gewaltige Spektakel, bis die Gischt in
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