Tante Inge haut ab
wie und warum. Sie hat ihn vielleicht nur vorübergehend verlassen.«
Johann zog kopfschüttelnd seine Jeans an. »Ich fände es grauenhaft, wenn du mich vorübergehend verlassen würdest. Das macht es nicht besser.«
»Ach, das kannst du doch gar nicht vergleichen. Das ist was ganz anderes.« Stimmte das? War auch egal. »Inge ist schließlich nicht mehr jung.«
»Das ist doch kein Argument. Ich würde einfach mal mit ihr reden. Dabei kannst du sie auch gleich fragen, was für eine Wohnung sie für Anika gefunden hat.«
In aller Ruhe fing er an, sich Rasierschaum aufzutragen. Christine harte das Gefühl, so einiges verpasst zu haben.
»Welche Wohnung? Und wieso für Anika ?«
Der Rasierpinsel zog gleichmäßige Kreise in Johanns Gesicht. »Das sollst du deine Tante fragen. Anika hat mir gestern erzählt, wie sie überhaupt mit Inge ins Gespräch gekommen ist. Du hast dich anscheinend gar nicht gefragt, warum die Kellnerin aus der >Badezeit< mit deiner Tante durch die Gegend fährt.« Da hatte er recht. So weit hatte sie überhaupt nicht gedacht. Dafür hatte sie der Zustand ihrer Tante zu sehr aus dem Konzept gebracht.
»Erzählst du es mir?«
Die Rasierklinge fuhr über sein Grübchen. Das war ja interessant. Christine fragte sich, warum sie noch nicht einmal mitbekommen hatte, dass sich dieser Mann so ausgiebig mit der schönen Kellnerin unterhalten hatte. Schnell verdrängte sie den Gedanken, der da kommen wollte. Schließlich war sie den ganzen Abend dabei gewesen, und außerdem war Anika viel zu jung für ihn, höchstens dreißig. Aber so schön.
»Wie bitte?« Vor lauter Grübeln hatte sie nicht verstanden, was Johann gerade gesagt hatte.
Johann hielt den Rasierer unter das laufende Wasser und sah sie im Spiegel an. »Du guckst so komisch. Was ist?«
»Nichts. Was ist denn jetzt mit dieser Wohnung?«
»Anika muss aus ihrer Wohnung raus, ihr Mietvertrag wird nicht verlängert. Und es ist anscheinend schwierig, auf Sylt eine bezahlbare Mietwohnung zu finden, weil alles an Feriengäste vermietet oder verkauft wird. Ihr Sohn ist aber erst acht, deshalb will sie eigentlich nicht mit ihm wegziehen. Irgendwie kam sie mit deiner Tante auf das Thema.«
»In der >Badezeit«
Wieder traf sie ein forschender Blick im Spiegel. »Ja. Was weiß ich. Anika hatte ja schon Feierabend. Und dann kam wohl auch noch Till dazu, das ist ihr Sohn. Sie kamen ins Gespräch und waren dann noch zusammen Mittag essen.«
»Ich denke, es gab kleine grüne Getränke?«
»Nur für deine Tante. Sie hat sich jedenfalls Anikas Problem angehört und plötzlich gesagt, Anika müsse sich keine Sorgen machen, sie hätte vielleicht eine passende Wohnung für sie.«
Christine verstand jetzt gar nichts mehr. »Was hat Inge denn mit Wohnungen zu tun ?« Eine Idee schoss ihr durch den Kopf. »Sag bloß, sie meint unsere Wohnung hier. Das kann doch nicht wahr sein! Meine Mutter flippt aus, wenn Inge hier jemanden einquartiert. Das traut sie sich doch wohl nicht, oder?«
Johann knöpfte sein Hemd zu. »Fahr nach Kampen und gehe mit deiner Tante eine Runde spazieren. Dann musst du dir nicht umsonst dein Hirn zermartern.«
Der Klingelton einer ankommenden SMS unterbrach das Gespräch. Johann deutete auf Christines Jacke, die über einem Stuhl hing.
»Deine Jacke klingelt.«
Die aufgerufene SMS lautete: ICHGLAUBEICHHABE-EINEALKOHOLVERGIFTUNGINGE.
Christine klappte das Handy zu und sah Johann an. »Ich fahre mal in die Apotheke, kaufe Aspirin und Vitamin C und zeige Tante Inge die Taste für Leerzeichen. Willst du mit?«
Erschrocken winkte er ab. »Nein, danke, ich gehe ein bisschen spazieren und fange dann meinen neuen Krimi an. Bei Frauengesprächen störe ich nur.«
Unschlüssig blieb Christine an der Tür stehen. »Eigentlich wollten wir unsere Zeit ja zusammen verbringen.«
In Johanns Stimme lag eine Spur Ungeduld. »Kümmere du dich jetzt erst mal um deine Tante, du bist mit den Gedanken ja sowieso bei ihr. Und heute Abend gehen wir am anderen Ende der Insel essen.«
»Was sollen wir denn in Hörnum?«
»Christine«, er fuhr sich gereizt durch die Haare, »es ist mir egal, wo. Nur ohne Familienanschluss. Okay?«
Mit schlechtem Gewissen ging sie zurück und küsste ihn. »Alles in Ordnung?«
»Ja. Aber nun fahr endlich.« Er schob sie wieder sanft zur Tür und bemühte sich um ein Lächeln. »Bis nachher.«
Während Christine zu ihrem Auto ging, überlegte sie, ob ihr noch andere Dinge bei der gestrigen Party entgangen waren.
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