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Tante Inge haut ab

Tante Inge haut ab

Titel: Tante Inge haut ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dora Heldt
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viel teures Zeug drin, in meinem Blut, das können Sie kristallisieren und auf Ihrer Weihnachtsfeier wieder flüssigmachen.« Wie war sie bloß auf »kristallisieren« gekommen? Der nette Arzt harte gelacht. Ihr Bruder nicht. Überhaupt nicht. Er hatte sie stumm zu Petra gefahren und dann dieses Riesentheater gemacht. Einen Blumenstrauß solle sie kaufen und sich im Krankenhaus entschuldigen. Und bei Charlotte gleich mit. Also zwei Sträuße. Sie würde ihn wahnsinnig machen, dauernd gäbe es Probleme mit ihr. Anstatt froh zu sein, dass sie kein Einzelkind sei, behandele sie ihn wie einen Hamster. Inge harte diesen Vergleich überhaupt nicht begriffen, auch jetzt im nüchternen Zustand nicht. Sie hatte als Kind einen Hamster gehabt, er hieß Herr Knapke, und er durfte sogar manchmal in ihrem Bett schlafen. Er hatte es sehr gut bei ihr gehabt. Inge nahm sich vor, Heinz zu fragen, wie er das gemeint hatte. Immerhin hatten sie sich darauf geeinigt, dass man über den spontanen Klinikbesuch nicht mehr sprechen wollte. Mit niemandem!
    Dabei war es Heinz gewesen, der auf ihrem Abschlussball so betrunken gewesen war, dass er in die Sektbar stürzte. Er hatte die Mehrzahl der Gläser zerstört und mit seinen Schnittverletzungen das Ballkleid der Pastorengattin ruiniert. Sie mussten den Ball verlassen. Inge musste natürlich mit, eigentlich hatte sie ihm das nie verziehen, sie hatte damals große Chancen gehabt, mit Hans-Martin das Preistanzen zu gewinnen. Diese Geschichte hatte Heinz natürlich vergessen, behauptete er wenigstens. Sie hatte sie ihm gestern deshalb viermal erzählt. Mindestens. Gut, es war jetzt fünfzig Jahre her, aber immer noch ärgerlich.
    Brutal wurde sie aus ihren Gedankengängen gerissen, als jemand ihr den Waschlappen vom Gesicht riss und sich auf das Fußende der Liege fallen ließ.
    »Na, Tante Inge, bist du wach?«
    Sie hielt die Augen geschlossen und dachte, dass ihre Nichte sich manchmal wie ein Elefant benahm, man konnte sich weiß Gott auch eleganter hinsetzen. Aber sie war schon als Kind ein Trampel gewesen. Wenn Inge darüber nachdachte, wie oft Christine irgendwo reingefallen oder dagegen gerannt war, wurde ihr heute noch ganz anders. Ein bisschen besser war es ja mittlerweile geworden. Wenigstens fiel sie nicht mehr so oft hin. Obwohl ... was war denn noch im Bus gewesen?
    »Tante Inge!«
    Christine legte mehr Volumen in die Stimme, während sie ihre Tante musterte. Der Waschlappen hatte ein kleines  Waffelmuster in ihrem Gesicht hinterlassen, ansonsten sah Inge ganz normal aus. Keine Spuren des vergangenen Exzesses.
    »Inge! Hallo!"
    Über Inges Nasenwurzel bildete sich eine steile Falte. Dann schlug sie die Augen auf.
    »Was ist? Warum schreist du so? Bist du nicht müde?«
    »Nein«, Christine sammelte ein paar kleine Blätter von Inge ab, »ich war ja früh im Bert. Was macht deine Alkoholvergiftung?«
    Ihre Tante setzte sich langsam auf. »Ach, diese SMS, die wollte ich gar nicht abschicken, ich habe nur ein bisschen tippen geübt.«
    »Wozu musst du das üben?«
    Inge betrachtete ihre Nichte. »Das machen doch jetzt alle. Ich finde diese Simserei sehr praktisch.«
    Christine sah ihre Tante stirnrunzelnd an. Tauschte sie mit dem Graumelierten heimlich kleine Nachrichten aus? Bislang harte sie noch nie gesehen, dass ihre Tante überhaupt ein Handy benutzte.
    Sie unterbrachen das Schweigen gleichzeitig.
    »Hast du eigentlich ...« - »Sag mal, was ist...«
    Tante Inge schwang ihre Beine von der Liege und hielt sich dann den Kopf. »Aua, weißt du eigentlich, wie alt so ein Kater wird?«
    »Ich habe dir Aspirin und Vitamin C mitgebracht. Bei mir wurde es nach zwei Tabletten besser.«
    Christine kramte in ihrer Handtasche, während Inge die Wasserflasche vom Boden nahm und den Deckel abschraubte. »Da steht mein Glas. Du wolltest mich gerade was fragen.«
    »Ja«, ihre Nichte warf die Tablette ins Glas und schaute zu, wie es anfing zu sprudeln. »Was ist mit Frau Nissen?«
    »Die ist gestorben. Sie ist 83 geworden.« Inge schwenkte das Glas. »Wieso?«
    Ungeduldig warf Christine die Tablettenschachtel auf die Liege. »Ach, Tante Inge, jetzt hör doch auf mit diesen Spielchen. Petra hat gerade erzählt, dass du hier irgendetwas regeln musst. Wieso erzählst du uns nichts davon? Wieso machst du so ein Geheimnis daraus? Stattdessen kommt diese Räuberpistole, dass du Onkel Walter verlassen hast. Hältst du uns alle für blöd? Was soll das? Wir machen uns Sorgen um dich, und du tust so, als

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