Tante Inge haut ab
zu lösen. Und vor allen Dingen wollte sie keine neuen haben. Auf gar keinen Fall.
Johann lag auf einer Liege im Garten und las. Er schob die Sonnenbrille hoch, als Christine sich auf das Fußende setzte, und lächelte sie an.
»Na? Alles geklärt?«
Sie küsste ihn auf sein Knie und ließ ihre Stirn kurz darauf liegen. »Ach, ich glaube, das ist alles heiße Luft«, antwortete sie und richtete sich auf, »Tante Inge ist zwar irgendwie durch den Wind, das kann aber auch damit zusammenhängen, dass Frau Nissen gestorben ist. Das war ihre alte Lehrerin, mit der sie eng befreundet war. Das macht ihr wohl zu schaffen.«
Johann schwang seine Beine von der Liege, kam neben Christine zum Sitzen und legte seinen Arm um sie. »Na bitte.«
Christine griff nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen. »Wir haben nicht viel reden können. Erst schlief sie mit einem Waschlappen auf dem Gesicht, und dann kam mein Vater.«
Johann lachte. »Das ist mir so ein Geschwisterpaar! Soll ich mich jetzt mal umziehen? Und danach hauen wir ab? Nur wir beide?«
Christine sah ihn an und strich ihm dabei eine Haarsträhne aus der Stirn. Er war ein großartiger Typ und das Beste, was ihr seit Langem über den Weg gelaufen war. Sie wollte nicht, dass es sich änderte. Und sie wollte dafür einiges tun. Sie küsste ihn und sagte nur: »Wunderbare Idee. Beeil dich.« Der rote Hut. Inge strich leicht über das rote Seidenband, das um die Krempe gelegt war. Sie hatte noch nie vorher einen Hut besessen, sie war immer ein Mützentyp gewesen. Erstens waren die billiger, zweitens hielten sie die Ohren warm, und drittens hatte Inge einen für Frauen untypisch großen Schädel. Mit ihrer Freundin Maria war sie früher bei Ausflügen aufs Festland schon mal in den großen Kaufhäusern in Flensburg oder Husum in den Hutabteilungen gewesen und hatte alle Modelle ausprobiert. Aber während Maria immer aussah, als wären die Hüte wie für sie gemacht, lagen die Dinger bei Inge nur oben auf und fielen bei der kleinsten Kopfbewegung runter. Maria hatte bei diesen Ausflügen immer Spaß gehabt, Inge war anschließend frustriert gewesen.
In Bad Oeynhausen hatte sie in einer Sektlaune Renate davon erzählt. Inge wusste nicht mehr, in welchem Zusammenhang, aber irgendwie war es um das Thema gegangen, wie sie sich als junge Frauen die Zukunft ausgemalt hatten. Inge hatte Renate erzählt, dass sie sich immer ganz mondän gesehen hätte, in langen schwarzen Kleidern mit großen Hüten auf dem Kopf. Und dass sie im echten Leben nie über eine Fleecemütze hinausgekommen wäre. Renate fand, Inge habe ein absolutes Hutgesicht. Außerdem sei ein Hut eine Lebenseinstellung, und Inge sei jetzt lange genug Frau Müller mit der Mütze gewesen, es sei Zeit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Inge war beeindruckt. Am nächsten Tag waren sie bei einer Modistin gewesen, die nach Renates exakten Anweisungen diesen roten Hut für Inge fertigte. Er war ein Geschenk von Renate für ihre neue Freundin. Und gleichzeitig ein Versprechen ans Leben.
Inge schloss den Reißverschiuss ihres gelben Kleids. Sie hätte sich ja gern ein schwarzes gekauft, Renate hatte ihr aber abgeraten. >*In deinem Alter trägt man schwarz nur noch auf Beerdigungen. Zieh was Helles an.«
Vorsichtig setzte sie den Hut auf, sie wollte ihre Frisur ja nicht ruinieren. Es war ein Glückshut, da war sie sich sicher. Der Lippenstift hatte dieselbe Farbe, sie zog ihre Lippen nach, warf einen abschließenden Blick in den Spiegel und griff nach ihrer Handtasche.
»Also dann, Inge, jetzt geht es los.«
Sie musste kichern, weil sie laut gesprochen hatte. Und weil sie sich freute.
Zwei Stunden später stand sie auf der Boysenstraße und drehte sich zu dem Haus um, aus dem sie gerade gekommen war. Am oberen Fenster stand er und hob langsam die Hand. Inge lächelte und winkte zurück. Er sah wirklich gut aus, sein grünes Hemd betonte seine Augen. Eigentlich mochte Inge keine bunten Hemden, Walter trug ausschließlich weiße oder blauweiß gestreifte. Ein grünes Hemd wäre ihm nie in den Schrank gekommen. Inge hörte im Geist seine Stimme: Ich bin doch kein Papagei.
Mark war da ein ganz anderer Typ. Sehr modisch, sehr gepflegt. Und er roch so gut. Er hatte bestimmt eine Menge bunter Hemden im Schrank. Gut, er war auch fünfzehn Jahre jünger als Walter. Wobei der auch mit Anfang fünfzig nie ein grünes Hemd getragen hätte. Aber das war jetzt auch egal.
Inge schüttelte den Gedanken an ihren Ehemann ab
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