Tante Inge haut ab
Anna Nissen, einer sehr alten Freundin von mir. Und diskret, weil mein Mann Walter ein pensionierter Steuerinspektor mit Hang zur Geldvermehrung ist. Ich habe Frau Nissens Haus geerbt, äh ..., zumindest steht das in dem Testament, das ich habe, und wenn Walter das wüsste, wäre sofort ein Makler beauftragt, das Haus zu Geld zu machen. Was ich aber nicht will. Was war die dritte Frage? ... Ach so, ja, Kampmann. In dem Brief, der Annas handschriftlichem Testament beigefügt war, hatte sie geschrieben, dass sich in den letzten Jahren eine Verwaltungsgesellschaft um die Vermietung der Ferienwohnungen gekümmert hat. Ich habe da gleich angerufen. Es war eine sehr nette Dame am Telefon, der habe ich erzählt, dass ich das Haus geerbt habe, aber nicht wüsste, welche Schritte ich unternehmen muss. Meinen Mann konnte ich ja schlecht fragen.« Sie machte eine kurze Pause und registrierte, dass Martensen gespannt zuhörte. »Diese Dame, wie hieß die gleich noch?... Ach ja, Frau Fischer, also sie hat gesagt, das würde sie auch überfordern, aber sie würde sich umhören und wieder melden.«
Martensen hatte den Namen Fischer aufgeschrieben. Er sah sie an. »Und dann?«
»Noch am selben Tag rief Mark Kampmann bei mir an. Er sei ein guter Bekannter von Frau Fischer und Anwalt. Er bot mir seine Hilfe an. Und da wir eine Rechtsschutzversicherung haben - die hat Walter schon seit zwanzig Jahren, weil er gerne mal klagt -, habe ich bei ihm einen Termin gemacht. Ich wollte ja sowieso nach Sylt fahren. Er hat mir alles sehr nett erklärt, das Testament angeschaut und alle möglichen Anträge gestellt. Wieso schütteln Sie den Kopf?«
»Haben Sie schon die Papiere bekommen? Den Erbschein? Ein Aktenzeichen vom Nachlassgericht? Irgendetwas?«
Inge schwirrte der Kopf. »Nein«, räumte sie ein, »ich habe Herrn Kampmann seit dem Einbruch aber auch nicht mehr gesprochen. Vorhin hat aber eine Frau Gross aus der Kanzlei angerufen. Sie hat gesagt, Herr Kampmann sei krank, aber meine Anträge seien erledigt und bei Gericht.«
Martensen pfiff lautlos. »Wer's glaubt.« Er straffte seine Schultern und sah sie forschend an. »Also, Frau Müller. Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen, weshalb ich hier bin: Ich brauche Ihnen vermutlich nicht zu erzählen, was Immobilien auf Sylt wert sind. Überall, wo man schnell viel Geld verdienen kann, passieren eigenartige Dinge. In den letzten drei Jahren gab es hier einige große Objekte, die an verschiedene Firmen gingen. Die verstorbenen Besitzer waren in den meisten Fällen alte Leute, die keine Familie mehr hatten und Testamente verfasst hatten, in denen drei Firmen als Alleinerben auftauchten. Eine Verwaltungsfirma, eine Werbeagentur und ein mobiler Pflegedienst. Alle Testamente wurden von der Kanzlei Kampmann notariell beglaubigt.«
Inge hatte ihm skeptisch zugehört. »Das heißt doch nichts. So viele Kanzleien gibt es in Westerland ja auch nicht. Und immer mehr Menschen sind im Alter ganz allein, und wenn es in ihrer Umgebung Leute gibt, die sich um sie kümmern, können sie denen doch auch was vererben. Muss ja nicht immer alles an die Kirche, den Staat oder ans Tierheim gehen.«
Martensen sah sie geduldig an. »Sicher. Wenn es keine Familie oder Freunde gibt, ist das auch in Ordnung. Wir haben aber einen Hinweis von einem Rechtsanwalt aus Flensburg bekommen. Er hat eine Mandantin gehabt, der einiges merkwürdig vorkam. Es ging dabei ebenfalls um eine Immobilie auf Sylt. Daraufhin hat der Anwalt nachgeforscht und einige Ungereimtheiten bemerkt. Dabei tauchte ein Name immer wieder auf. Und das klingt mir dann doch etwas zu sehr nach Zufall.«
Inge fühlte sich überfordert. »Und was habe ich damit zu tun?«
»Haben Sie das Testament noch? Oder hat es Kampmann?«
»Ich.« Inges Stimme klang kläglich.
»Gut«, Martensen nickte erleichtert. »Ich glaube, dass Kampmann sehr überrascht war, als Sie mit einem Testament aufgetaucht sind. Frau Nissen hat ja allein gelebt. Und die Verwaltungsgesellschaft hat sich schon ... äh ...«, er hüstelte, »nun ja, wir wollen hier nicht vorgreifen.«
»Was meinen Sie damit?«
»Das erkläre ich Ihnen später. Nur so viel: Es könnte sein, dass jemand das Testament bei Ihnen gesucht hat.«
Fassungslos starrte Inge ihn an. Dann schüttelte sie resolut den Kopf. »Was für eine Räuberpistole! Wir sind doch nicht in Las Vegas. Das könnte von meinem Bruder kommen, der hat auch so eine überschäumende Phantasie. Der Flensburger Anwalt geht
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