Tante Inge haut ab
steckt.«
Inge atmete tief aus. Es wurde immer verrückter. »Was soll ich dazu sagen?«
»Nichts, Frau Müller, wir finden ihn. Aber falls er sich doch noch bei Ihnen meldet, rufen Sie mich bitte an.«
»Mach ich. Also, tschüss, Herr Martensen.«
Sie legte das Telefon auf den Tisch und dachte nach, wie sie das alles Johann und Christine erklären sollte. Anika parkte ihr Auto auf dem Parkplatz von »Karsten Wulff«, wo sie mit Jörn verabredet war. Sie sah auf die Uhr, eine halbe Stunde zu früh. Das kam davon, wenn man so selten ausging, die Nervosität trieb einen zu schnell aus dem Haus. Sie lehnte sich an die Kopfstütze und stellte sich vor, wie der Abend verlaufen würde.
Sie musste herausfinden, was Guido Schneider mit Inges Erbe zu tun hatte. Inge. Anika musste lächeln, als sie daran dachte, wie Inge klammheimlich und zielstrebig ihre Pläne verfolgt hatte. Was für eine Energie dahintersteckte. Es war nicht gerecht, dass jetzt alles schiefging. Inge hatte schon so viel unternommen. Und gewagt. Es wäre zu schön, wenn Inges Pläne aufgehen würden. So viel Glück hatte Anika in den letzten zehn Jahren nicht gehabt.
Vor zehn Jahren hatte sie noch in Berlin studiert. Architektur, ihr Wunschfach. Damals hatte sie Jörn kennengelernt. Er war im selben Semester, der bestaussehende und witzigste Kommilitone. Sie liefen sich oft über den Weg, Anika mochte ihn gern. Es war eine tolle Zeit in Berlin, zumindest die ersten beiden Semester. Sie hatte sich mit ihren Kommilitonen zum Lernen getroffen, war anschließend durch die Berliner Kneipen gezogen und hatte die Nächte oft in irgendeiner Studentenküche beim Spiegeleierbraten enden lassen. Sie war eine ganz normale Studentin gewesen. Bis sie Harald kennenlernte. Er war einer ihrer Dozenten, und sie verliebte sich Hals über Kopf in ihn. Es dauerte ein Jahr. Es war schön und schwer gleichzeitig. Harald war verheiratet. Das Ende kam genauso plötzlich wie der Anfang. Seine Frau fand es heraus und drohte, es öffentlich zu machen. Harald sah seine Karriere in Gefahr und trennte sich von ihr. Zwei Monate später merkte sie, dass sie schwanger war.
Das Klopfen an der Scheibe riss sie aus ihren Gedanken. Jörn hatte sich zu ihr gebeugt und öffnete die Autotür.
»Hallo, Anika. Wartest du schon lange?«
»Nein«, langsam stieg sie aus, »keine fünf Minuten. Hallo, Jörn.«
Er sah sie forschend an und küsste sie leicht auf die Wange. »Ich habe mich sehr gefreut, dass du angerufen hast. Gehen wir rein?«
Sie bekamen einen Tisch am Fenster, der Ober reichte ihnen die Speisekarten. Kaum war er weg, legte Anika die Karte zur Seite, verschränkte die Finger auf dem Tisch und sah Jörn an.
»So, und nun erzähl mal von deiner Superbaustelle.«
Erstaunt guckte er hoch. »Weißt du denn schon, was du essen willst?«
Sie nickte. »Pannfisch.«
»Nehme ich auch.« Er gab dem Ober ein Zeichen. »Möchtest du was vorweg? ... Nein? Na gut, dann zweimal Pannfisch, für mich ein Bier und ...«
»Wasser, bitte«, sagte Anika.
»... und ein Wasser. Danke.« Jörn reichte dem Ober die Karten zurück und wandte sich wieder Anika zu. »Jetzt musst du aber erst mal erzählen. Wieso wohnst du auf Sylt? Lebst du allein? Wo arbeitest du? Wieso bist du damals so einfach verschwunden ? Keiner hatte eine Adresse von dir, wir haben uns alle Gedanken gemacht.«
»Ach, das ist alles ziemlich langweilig«, winkte Anika lächelnd ab, »mich interessiert diese Baustelle viel mehr. Wie bekommt man so einen tollen Auftrag?« Nachdenklich betrachtete Jörn sie und antwortete schließlich: »Aber danach erzählst du, okay?«
Sie nickte schnell und schaute ihn erwartungsvoll an.
»Das war ziemlich schräg«, begann Jörn. »Ich habe in Hamburg ein Architekturbüro, übrigens zusammen mit Julius Claus, kannst du dich an ihn erinnern? Er hat mit uns studiert.«
»So ein Blonder? Der Fußball spielte und immer so viel redete ?«
Jörn lachte. »Genau der. Also, Ende März haben wir Besuch von diesem Guido Schneider und seiner Assistentin Marion Fischer bekommen. Er zeigte uns einen Grundstücksplan und fragte, ob wir das Objekt umbauen könnten. Die einzige Bedingung für die Vergabe war, dass wir so schnell wie möglich anfangen.«
»Was heißt schnell?«
»Im Prinzip sofort. Und er hatte Glück, uns war am selben Tag ein Projekt geplatzt, deshalb konnten wir sofort loslegen.«
»Was macht dieser Schneider eigentlich?«
»Der muss richtig Geld haben. Oder sein Partner, den
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