Tante Julia und der Kunstschreiber
»In zwei Wochen hat die Hörerschaft für Hörspielserien um zwanzig Prozent zugenommen. Wißt ihr, was das bedeutet? Zwanzig Prozent mehr für die Werbespots!«
»Und wenn Sie uns das Gehalt um zwanzig Prozent erhöhten, Don Genaro?« Pascual wippte in seinem Stuhl. »Ihr arbeitet nicht bei Radio Central, sondern bei Panamericana«, erinnerte uns Genaro jun. »Wir sind eine Radiostation mit gutem Geschmack und senden keine Hörspielserien.« Die Zeitungen brachten bald auf den entsprechenden Seiten das Echo der von den neuen Serien eroberten Hörerschaft und begannen Pedro Camacho über alles zu loben. Guido Monteverde feierte ihn in seiner Spalte »Ultima Hora«, indem er ihn einen »erfahrenen Librettisten von tropischer Einbildungskraft und romanti schem Stil, einen unermüdlichen Dirigenten der Hörspiele« nannte, »der selbst ein wortgewandter Schauspieler mit einschmeichelnder Stimme ist«. Aber der, der mit all diesen Adjektiven gefeiert wurde, tat so, als bemerkte er die Welle der Begeisterung nicht, die sich um ihn herum erhob. Eines Morgens, als ich ihn auf dem Weg ins Bransa abholte, wo wir zusammen Kaffee tranken, klebte an dem Fenster seiner Kammer ein Zettel mit der Aufschrift in steifen Buchstaben: »Journalisten werden nicht empfangen, und es werden keine Autogramme gegeben. Der Künstler arbeitet! Respektieren Sie das.« »Ist das Ernst oder Spaß?« fragte ich ihn, während ich meinen Kaffee schlürfte und er sein zerebrales Gebräu aus Kamille und Pfefferminz trank.
»Sehr ernst«, antwortete er. »Die lokalen Vielschreiber haben angefangen, mich zu belästigen, und wenn ich ihnen nicht Einhalt gebiete, wird es bald Hörerschlangen bis hierher geben« – er zeigte pikiert bis zur Plaza San Martin –, »die Photos und Unterschriften erbetteln. Meine Zeit ist Gold wert, ich kann sie nicht mit Albernheiten vergeuden.« Es war kein Fünkchen Eitelkeit in dem, was er sagte, nur ehrliche Sorge. Wie gewöhnlich trug er seinen schwarzen Anzug und rauchte pestilenzartig stinkende Zigaretten, die „Aviaciön« hießen. Wie immer war er außerordentlich ernst. Ich glaubte, ihn erfreuen zu können, wenn ich ihm erzählte, daß alle meine Tanten zu fanatischen Zuhörern von ihm geworden waren und daß Genaro jun. wegen der Resultate seiner Hörerumfragen über die Einschaltquoten seiner Hörspielserien vor Begeisterung überschäumte. Aber er hieß mich gelangweilt schweigen, als wären das unvermeidbare Dinge und als hätte er es schon immer gewußt. Statt dessen teilte er mir mit, er sei indigniert über das mangelnde Feingefühl dieser »Krämerseelen« (eine Bezeichnung, mit der er sich auf die Genaros bezog). »Bei den Hörspielen stimmt etwas nicht, und es ist meine Pflicht, Abhilfe zu schaffen, und ihre ist es, mir dabei zu helfen«, sagte er und zog die Stirn kraus. »Aber man sieht mal wieder, daß die Kunst und die Börse Todfeinde sind, wie die Schweine und die Margeriten.«
»Es stimmt etwas nicht?« wunderte ich mich. »Aber alle sind ein Riesenerfolg!«
»Diese Krämerseelen wollen Pablito nicht kündigen, obwohl ich es gefordert habe«, erklärte er. »Aus sentimentalen Gründen, weil er schon so viele Jahre bei Radio Central arbeitet und ähnliche Dummheiten. Als hätte die Kunst irgend etwas mit Wohltätigkeit zu tun. Die Unfähigkeit dieses Kranken ist eine echte Sabotage meiner Arbeit!«
Der Große Pablito war eine jener pittoresken und unbeschreibbaren Figuren, die die Atmosphäre des Rundfunks anzieht oder selbst hervorbringt. Der Diminutiv suggerierte die Vorstellung von einem jungen Mann. Er war jedoch ein Mestize in den Fünfzigern, der die Füße über den Boden schleifte und Asthmaanfälle hatte, die auf seine Umgebung ansteckend wirkten. Er streunte von morgens bis abends in Radio Central und Panamericana herum, tat alles, half sogar den Straßenfegern, ging für die Genaros Karten fürs Kino oder für den Stierkampf kaufen und verteilte selbst Einlaßscheine für die Sendungen. Seine dauerhafteste Arbeit waren die Hörspielserien, bei denen er für die Geräuschkulisse zuständig war.
»Die glauben, die Geräuschkulissen seien Albernheiten, die jeder Bettler machen kann«, dozierte Camacho hoheitsvoll und eisig. »In Wirklichkeit sind sie ein Teil der Kunst. Aber was versteht dieser halbtote Hohlkopf Pablito von Kunst?« Er versicherte, er werde »im gegebenen Moment« nicht zögern, mit seinen eigenen Händen alles, was die »Perfektion seiner Arbeit« verhindere,
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