Tante Julia und der Kunstschreiber
auszurotten (und er sagte das in einer Weise, daß ich es ihm glaubte). Betrübt fügte er hinzu, daß er keine Zeit habe, einen Techniker für spezielle Effekte auszubilden, ihn von A bis Z einzuweisen, daß er jedoch nach einer raschen Prüfung des »einheimischen Potentials« gefunden habe, was er suchte. Er senkte die Stimme, sah sich rasch um und fuhr mephistophelisch fort: »Das Element, das wir brauchen, ist bei Radio Victoria.«
Zusammen mit Javier untersuchten wir Pedro Camachos Möglichkeiten, seine mörderischen Absichten mit dem Großen Pablito in die Tat umzusetzen, und stimmten darin überein, daß dessen Glück ausschließlich von den Höreranalysen abhing: wenn der Zuwachs der Hörer anhielt, würde er mitleidlos geopfert werden. Und tatsächlich, es war noch keine Woche vergangen, als Genaro jun. bei uns auf dem Dach erschien und mich beim Schreiben einer neuen Erzählung überraschte – er muß meine Verlegenheit bemerkt haben und auch die Geschwindigkeit, mit der ich die Seite aus der Maschine riß und sie unter die Nachrichten mischte. Er besaß aber soviel Zartgefühl, nichts zu sagen, und wandte sich mit der Geste eines großen Mäzens gleichzeitig an mich und an Pascual: »Ihr habt euch so lange beklagt, daß ihr jetzt endlich den neuen Redakteur bekommt, den ihr haben wolltet, ihr Schlappschwänze. Der Große Pablito wird bei euch arbeiten. Ruht euch nicht auf euren Lorbeeren aus!«
Die Verstärkung, die der Informationsdienst erhielt, war mehr moralischer als technischer Art, denn am nächsten Morgen, als der Große Pablito außerordentlich pünktlich um 7 Uhr im Büro erschien und mich fragte, was er tun solle, und ich ihm auftrug, einen Parlamentsbericht umzuarbeiten, machte er ein bestürztes Gesicht und bekam einen Hustenanfall, bei dem er blau anlief; dann stotterte er, das sei unmöglich: »Ich kann weder lesen noch schreiben, Herr.« Mir schien es ein feines Zeichen des heiteren Gemüts von Genaro jun., uns als neuen Redakteur einen Analphabeten auszusuchen. Pascual, der nervös geworden war, als er hörte, daß die Redaktion zwischen ihm und dem Großen Pablito aufgeteilt werden sollte, nahm die Nachricht von seinem Analphabetentum mit offener Freude entgegen. In meiner Gegenwart rügte er seinen neuen Kollegen wegen seiner Trägheit, weil er nicht in der Lage gewesen sei, sich auszubilden, wie er es getan hatte, der als Erwachsener in die kostenlosen Abendkurse gegangen war. Der Große Pablito nickte sehr erschrocken und wiederholte wie ein Automat: »Das ist wahr, daran habe ich nie gedacht, so ist es, Sie haben vollkommen recht« und sah mich an, als erwarte er die sofortige Entlassung. Ich beruhigte ihn und sagte, wir würden ihm auftragen, die Nachrichten zu den Sprechern zu bringen. Tatsächlich wurde er ein Sklave von Pascual, der ihn den ganzen Tag vom Dach auf die Straße und umgekehrt hin und her laufen ließ. Er sollte ihm Zigaretten holen oder gefüllte Kartoffeln, die fliegende Händler in der Calle Carabaya verkauften, oder einfach nachsehen, ob es regnete. Der Große Pablito ertrug seine Knechtschaft mit außerordentlicher Opferbereitschaft und zeigte seinem Peiniger gegenüber sogar mehr Respekt und Freundschaft als mir. Wenn er nichts für Pascual zu tun hatte, zog er sich in einen Winkel des Büros zurück und schlief, "den Kopf gegen die Wand gelehnt, sofort ein. Er schnarchte mit rhythmischem und pfeifendem Schnarren wie ein ausgedienter Ventilator. Er war eine großzügige Seele. Gegenüber Pedro Camacho empfand er nicht den geringsten Zorn, daß er ihn durch einen Neuankömmling von Radio Victoria ersetzt hatte. Er sprach stets in lobenden Tönen über den bolivianischen Schreiber, für den er die ehrlichste Bewunderung hegte. Oft bat er mich um die Erlaubnis, zu den Hörspielaufnahmen gehen zu dürfen. Jedesmal kam er begeistert zurück:
»Der Mann ist genial«, sagte er fast erstickend. »Dem fallen wunderbare Sachen ein.«
Immer brachte er amüsante Anekdoten von den künstlerischen Heldentaten Pedro Camachos mit. Eines Tages schwor er uns, daß er Luciano Pando geraten habe zu masturbieren, bevor er einen Liebesdialog spreche, mit der Begründung, das schwäche die Stimme etwas ab und gebe ihr ein sehr romantisches Keuchen. Luciano Pando habe sich geweigert.
»Jetzt verstehe ich auch, warum er jedesmal vor einer sentimentalen Szene in den Hof auf die Toilette geht, Don Mario.« Der Große Pablito bekreuzigte sich und küßte seine Finger. »Um zu
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