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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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wichsen, was sonst. Darum kommt ihm die Stimme so wunderbar sanft.«
    Javier und ich diskutierten lange darüber, ob das stimmen könne oder eine Erfindung unseres neuen Redakteurs sei, und wir kamen zu dem Schluß, es gebe genügend Hinweise dafür, die Behauptung nicht für absolut unmöglich zu halten. »Darüber solltest du eine Erzählung schreiben und nicht über Doroteo Marti«, tadelte mich Javier. »Radio Central ist eine Fundgrube für die Literatur.«
    Die Geschichte, an der ich in diesen Tagen gerade schrieb, basierte auf einer Anekdote, die mir Tante Julia erzählt hatte. Sie hatte sie selbst im Teatro Saavedra von La Paz erlebt. Doroteo Marti war ein spanischer Schauspieler, der durch Amerika reiste und die Menge mit »Die Ungeliebte« und »Ein ganzer Mann« oder noch grausameren Scheußlichkeiten rührte und zum Weinen brachte. Sogar in Lima, wo das Theater seit dem vorigen Jahrhundert eine ausgestorbene Kuriosität war, hatte die Truppe von Doroteo Martf das Municipal mit einer Vorstellung bis auf den letzten Platz gefüllt, die, der Legende nach, das Nonplusultra seines Repertoires war: »Das Leben, die Leidensgeschichte und der Tod unseres HERRN.“ Der Künstler hatte einen ausgeprägten Sinn für das Praktische, und böse Zungen behaupteten, daß der Christus einmal seine seufzende Schmer-zensnacht auf dem Ölberg unterbrochen habe, um mit liebenswürdiger Stimme dem distinguierten Publikum anzukündigen, daß morgen die Truppe eine Werbevorstellung gebe, zu der jeder Herr seine Dame gratis mitbringen dürfe (dann setzte er seinen Leidensweg fort). Und gerade eine Vorstellung von »Das Leben, die Leidensgeschichte und der Tod unseres HERRN« hatte Tante Julia im Teatro Saavedra gesehen. Es war auf dem Höhepunkt der Vorstellung, Jesus Christus starb auf Golgatha, als das Publikum bemerkte, daß das Holz, an dem Jesus Christus Marti unter Weihrauchwolken hing, zu brechen begann. War es ein Unfall oder ein beabsichtigter Effekt? Die Jungfrau, die Apostel, die Legionäre, das gesamte Volk wechselten heimliche Blicke und begannen, sich von dem schwankenden Kreuz zurückzuziehen, an dem Doroteo-Jesus, den Kopf noch immer auf die Brust gesenkt, sehr leise, aber in den ersten Reihen des Parketts doch hörbar, zu flüstern begann: »Ich falle, ich falle.« Wahrscheinlich vor Schreck über den Frevel gelähmt, kam keiner der unsichtbaren Helfer hinter den Kulissen hervor, um das Kreuz zu halten, das jetzt, zahlreichen physikalischen Gesetzen zum Trotz, inmitten des aufgeregten Lärms, der die Gebete abgelöst hatte, hin und her schwankte. Sekunden später konnten die Zuschauer von La Paz Marti von Galiläa unter dem Gewicht des heiligen Holzes bäuchlings auf die Bretter seines Ruhms fallen sehen und den Donner hören, der im Theater widerhallte. Tante Julia schwor mir, daß Christus, bevor er auf die Bretter klatschte, schließlich wild gebrüllt habe: »Ich falle, verflucht noch mal!« Vor allem dieses Ende wollte ich wiedergeben; die Erzählung sollte auf effektvolle Weise mit dem Gebrüll und dem Fluch Jesu aufhören. Es sollte eine komische Erzählung werden, und um die Techniken des Humors zu erlernen, las ich im Bus, im Colectivo und im Bett, bevor ich einschlief, alle komischen Autoren, die ich in die Hand bekommen konnte, von Mark Twain bis Bernhard Shaw, von Jardiel Poncela bis Fernândez Florez. Aber sie gelang mir nicht, und der Große Pablito und Pascual zählten die Seiten, die in den Papierkorb wanderten. Zum Glück waren die Genaros beim Informationsdienst großzügig, was das Papier anging. Es vergingen zwei oder drei Wochen, bevor ich den Mann von Radio Victoria kennenlernte, der den Großen Pablito verdrängt hatte. Vor Pedro Camachos Zeit hatte man immer an den Aufnahmen der Hörspielserien teilnehmen können. Er hingegen hatte bestimmt, daß niemand außer den Akteuren und Technikern ins Studio kommen durfte, und um Besuche zu verhindern, schloß er die Türen und stellte den entwaffnenden Hünen Jesu-sito als Wächter davor. Selbst Genaro jun. mußte sich fügen. Ich erinnere mich an den Abend, an dem er in dem Dachverschlag erschien, wieder einmal Probleme hatte und ein Tränentuch brauchte. Seine Nasenflügel flatterten vor Entrüstung, als er mir seine Klagen vortrug: »Ich habe versucht, ins Studio zu kommen, und er hat einfach das Programm gestoppt und sich geweigert fortzufahren, bevor ich draußen sei«, sagte er mit versagender Stimme. »Er hat mir versprochen, das nächste

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