Tante Julia und der Kunstschreiber
ungewöhnlicher die Wirkung, die sie hatten. Er sprach mit großen Gesten, bäumte sich auf, mit der fanatischen Stimme eines Mannes, der im Besitz einer zwingenden Wahrheit ist und sie weitergeben, mitteilen, durchsetzen muß. Und das gelang ihm vollkommen. Die fünf Schauspieler hörten ihm betäubt und hingerissen zu, die Augen weit geöffnet, als könnten sie diese Sentenzen über ihre Arbeit so besser aufsaugen (»Ihre Mission«, sagte der Autor-Regisseur). Ich bedauerte, daß Tante Julia nicht hier war, denn sie würde mir nicht glauben, wenn ich ihr erzählte, wie sich unter der feurigen Rhetorik von Pedro Camacho diese Handvoll Vertreter des elendesten Berufsstandes von Lima während einer ewiglangen halben Stunde verwandelte, verschönte, vergeistigte. Der Große Pablito und ich saßen auf dem Boden in einer Ecke des Studios; vor uns befand sich, von seltsamen Requisiten umgeben, der Deserteur von Radio Victoria, die allerletzte Neuerwerbung. Auch er hatte in mystischer Ergebung der Vorrede des Künstlers gelauscht; aber als die Aufnahme des Kapitels begann, wurde er für mich zum Mittelpunkt des Geschehens. Er war ein kleiner, kräftiger Mann mit kupferfarbener Haut, sprödem Haar und fast wie ein Bettler gekleidet. Er trug einen zerschlissenen Overall, ein geflicktes Hemd, Stiefel ohne Schnürsenkel. (Später erfuhr ich, daß er unter dem geheimnisvollen Spitznamen Batân – Wringer – bekannt war.) Seine Arbeitsinstrumente waren ein Brett, eine Tür, ein mit Wasser gefülltes Becken und eine Flöte, ein Bogen Stanniolpapier, ein Ventilator und noch andere Dinge, die alle nach Haushalt aussahen. Batân veranstaltete ganz allein ein Schauspiel aus Bauchrednerei, Akrobatik, Vervielfältigung der Persönlichkeit, physischer Phantasie. Kaum machte ihm der Regisseur-Schauspieler das vorge schriebene Zeichen – ein schulmeisterliches Vibrieren des Zeigefingers in der von Dialogen, Ach-Rufen und Seufzern geladenen Luft –, bewirkte Batân, indem er in einem kunstvoll abklingenden Rhythmus über das Brett ging, daß die Schritte der Personen näher kamen oder sich entfernten, und auf ein anderes Zeichen ließ er, indem er den Ventilator in verschiedenen Geschwindigkeitsstufen auf das Stanniolpapier richtete, das Geräusch von Regen oder das Brüllen eines Sturms entstehen. Auf wieder ein anderes Zeichen steckte er drei Finger in den Mund und pfiff, und das Studio war von dem Vogelgezwitscher erfüllt, das an einem Frühlingsmorgen die Heldin in ihrem Landhaus weckte. Ganz besonders bemerkenswert war die Art, wie er Straßengeräusche herstellte. An einer bestimmten Stelle gingen zwei Personen im Gespräch über die Plaza de Armas. Der Fette Ochoa schickte per Tonband Motoren geräusche und Hupen, doch alle anderen Effekte produzierte Batân, indem er mit der Zunge schnalzte, gluckste, zischte, surrte (er schien alles auf einmal zu machen). Man brauchte nur die Augen zu schließen, und man hörte in dem kleinen Studio von Radio Central hingeworfene Worte, Gelächter und Ausrufe wie auf einer belebten Straße. Doch als wäre das noch zuwenig, ging oder sprang Batân, während er die menschlichen Stimmen imitierte, über das Brett und produzierte auf diese Weise die Schritte der Fußgänger auf dem Bürgersteig und das Geräusch von Körpern, die aneinander vorbeistreifen. Er »ging« gleichzeitig mit den Füßen und mit den Händen (über die er sich Schuhe gezogen hatte), ging in die Hocke, ließ die Arme wie ein Affe herunterhängen und schlug sich mit den Ellenbogen und Unterarmen die Schenkel. Nachdem er (akustisch) die Plaza de Armas um die Mittagszeit vorgestellt hatte, war es eine vergleichsweise unbedeutende Leistung – er ließ kleine Eisen aneinanderklingen, kratzte an einem Glas und streifte, um das Gleiten von Stühlen und Personen über einen flauschigen Teppich zu imitieren, ein paar Täfelchen an seiner Hose –, das Haus einer emporgekommenen Dame aus Lima darzustellen, die einer Gruppe Freundinnen Tee – in chinesischen Porzellantassen – servierte, oder brüllend, schnatternd, schnüffelnd, heulend den zoologischen Garten von Barranco phonetisch zu verkörpern (wobei er ihn um viele Exemplare bereicherte). Am Ende der Aufnahme sah er aus, als hätte er den olympischen Marathonlauf hinter sich. Er keuchte, hatte tiefe Ringe unter den Augen und schwitzte wie ein Pferd.
Pedro Camacho hatte seine Mitarbeiter mit seinem grabesähnlichen Ernst angesteckt. Das war eine gewaltige Veränderung. Die
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