Tante Lisbeth (German Edition)
ein Beweis ungeheurer Kraft. Daher die dichterischen Verherrlichungen. Ein rechter Mann sollte in seiner Frau alle Frauen wiederfinden, wie die armseligen Poeten des siebzehnten Jahrhunderts in ihren kleinen Mädchen Göttinnen sahen.
»Sag einmal«, fragte Lisbeth den Künstler, als sie ihm ansah, daß er bezaubert war, »wie findest du Valerie?«
»Zu reizvoll!« gab er zur Antwort.
»Erinnerst du dich meiner Warnung?« lachte sie. »Mein lieber Stanislaus, wenn wir weiter zusammengeblieben wären, hättest du diese Sirene da zur Geliebten gehabt, und wenn sie Witwe wird, hättest du sie geheiratet. Ihr hättet dann die vierzigtausend Francs Rente, die ihr gehören.«
»Wirklich?«
»Natürlich!« sagte Lisbeth. »Aha, nimm dich nur in acht. Ich habe dich vor der Gefahr gewarnt. Verbrenn dir die Flügel nicht an dieser Flamme! Gib mir den Arm! Man geht zu Tisch.«
Keine Unterhaltung hätte mehr demoralisierend wirken können als diese. Man braucht einen Polen bloß vor einen Abgrund zu stellen, gleich springt er hinein. Der Slawe hat Reitergeist in sich; er bildet sich ein, jedes Hindernis nehmen zu können und alles zu überwinden. Neben dem Ansporn, den Lisbeth der Eitelkeit des Künstlers versetzte, wirkte auf Steinbock der Anblick der Tafel, auf der er prächtiges Silberzeug funkeln und alle Eleganz und Raffinesse des Pariser Luxus entfaltet sah.
Ich hätte allerdings besser getan, dachte er bei sich, zunächst nicht zu heiraten.
Während der Tafel war der Baron in der besten Laune. Die Anwesenheit seines Schwiegersohnes und noch mehr die Gewißheit, wieder mit Valerie versöhnt zu sein – er glaubte in seiner Eitelkeit, sein Versprechen, Marneffe zum Amtsnachfolger Coquets zu machen, bürge ihm für ihre Treue –, dies beides erfüllte ihn mit Zufriedenheit. Stidmann erwiderte die Liebenswürdigkeit des Barons mit einem Sprudel Pariser Witze. Auch Steinbock, der sich von seinem Kollegen nicht ausstechen lassen wollte, ließ seinen Geist spielen. Er hatte launige Einfälle, machte Eindruck und war voller Selbstzufriedenheit. Mehrere Male lächelte ihm Frau Marneffe zu, um ihm zu zeigen, daß sie mit ihm im Einklang sei. Das treffliche Mahl und die vorzüglichen Weine tauchten Stanislaus schließlich in den Unterstrom des Genusses.
Weinselig machte er es sich nach dem Essen in einer Sofaecke behaglich. Er überließ sich einem körperlichen wie seelischen Wohlgefühl, das ihm Frau Marneffe ins Grenzenlose erhöhte, als sie sich – behend, parfümiert, schön, verführerisch – neben ihn hinsetzte.
Sie neigte sich gegen Stanislaus; er fühlte sie leise. Sie flüsterte ihm zu:
»Heute abend können wir das Geschäftliche nicht besprechen, Sie müßten denn bis ganz zuletzt bleiben. Aber Lisbeth und ich, wir werden die Sache schon zu Ihrer Zufriedenheit arrangieren ...«
»Sie sind ein Engel, gnädige Frau!« sagte Stanislaus ebenso leise. »Ich habe eine tolle Dummheit begangen, als ich damals nicht auf Lisbeth hörte ...«
»Was sagte sie denn?«
»Sie behauptete, damals in der Rue du Doyenne, Sie seien in mich verliebt...«
Valerie blickte ihn an. Sie sah verwirrt aus und stand rasch auf. Eine hübsche junge Frau erweckt niemals ungestraft in einem Manne den Eindruck des unmittelbaren Erfolges. Die Gebärde der anständigen Frau, die eine Leidenschaft ins tiefste Herz zurückstößt, wirkt tausendmal beredter als die ungestümste Erklärung in Worten. Alsbald loderte die Begehrlichkeit des Künstlers hoch auf, und er verdoppelte seine Aufmerksamkeit Valerie gegenüber. Das Weib, das man vor sich hat, begehrt man immer. Als Valerie sich beobachtet fühlte, betrug sie sich wie eine Schauspielerin, der man applaudiert. Sie wurde entzückend und vollendete ihren Sieg.
»Die Torheiten meines Schwiegervaters setzen mich nicht mehr in Erstaunen«, bemerkte Stanislaus zu Lisbeth.
»Wenn du schon so sprichst«, entgegnete sie ihm, »dann werde ich es mein Leben lang bereuen, daß ich dir diese zehntausend Francs vermittelt habe. Bist du wirklich nicht anders als alle die da«, sie zeigte auf die Gäste, »die alle toll verliebt in jenes Geschöpf sind? Vergiß nicht, daß du der Rival deines Schwiegervaters würdest! Und dann bedenke, wieviel Leid du Hortense zufügtest!«
»Wahrlich, Hortense ist ein Engel, und ich wäre ein schlechter Mensch«, gestand Steinbock.
»Einer genügt in der Familie«, bemerkte Lisbeth.
»Ein Künstler sollte nie heiraten«, klagte Stanislaus.
»Siehst du! Das war ja
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