Tante Lisbeth (German Edition)
sehr gut, Graf«, sagte sie zu dem Künstler. »Ich habe Sie in der Rue du Doyenné oft gesehen, und dann war ich auch auf Ihrer Hochzeit.« Zu Lisbeth sagte sie: »Es ist schwer, Lisbeth, deinen Pflegesohn zu vergessen, wenn man ihn einmal gesehen hat.«
Dann begrüßte sie Stidmann.
»Es ist sehr gütig von Ihnen, daß Sie meiner Einladung Folge geleistet haben, trotzdem sie Ihnen so spät zugegangen ist. Not kennt kein Gebot. Ich wußte, daß sie den beiden andern Herren befreundet sind. Nichts ist ungemütlicher, nichts macht ein Diner stimmungsloser, als wenn sich die Gäste untereinander nicht kennen. So habe ich Sie denn den Herren zuliebe hergelockt. Ein andermal kommen Sie mir zuliebe. Sagen Sie ja!«
Eine Weile unterhielt sie sich mit Stidmann, als ob sie einzig und allein Interesse für ihn hätte.
Nacheinander meldete man Crevel, den Baron Hulot und einen Abgeordneten namens Beauvisage. Dieser, ein zweiter Crevel, aber aus der Provinz, einer der Menschen, die auf die Welt kommen, um die Vielzuvielen zu vermehren, war durch den Staatsrat Giraud und durch Viktor von Hulot zu seinem Sitz im Abgeordnetenhause gekommen. Die beiden Politiker wollten eine liberale Insel im Ozean der Konservativen bilden. Giraud kam zuweilen abends zu Frau Marneffe, die am liebsten auch Viktor von Hulot in ihren Kreis gezogen hätte. Aber der auf das Dekorum bedachte Anwalt hatte bisher immer Vorwände gefunden, hierin seinem Vater und seinem Schwiegervater Widerstand zu leisten. Im Hause der Frau zu erscheinen, die seiner Mutter so viele Tränen kostete, wäre ihm wie ein Verbrechen vorgekommen. Viktor von Hulot gehörte in seinem Privatleben zu denen, die auf altfränkische Sitten halten; ähnlich neigte seine Frau zur Frömmelei. Beauvisage, ein ehemaliger Hutfabrikant, war darauf erpicht, Pariser zu werden. Er ging sozusagen bei Frau Marneffe in die Lehre. Im übrigen war Crevel sein Lehrmeister. Ihn befragte er in allen Dingen; er machte ihm alles nach, selbst seine berühmte Attitüde.
In der Umgebung aller dieser Leute erschien Valerie dem Grafen Steinbock wie eine femme supérieure.
»Sie ist eine Madame von Maintenon im Rocke der Ninon von Lenclos!« rühmte Vignon sie ihm. »Man gefällt ihr, wenn man gesellig und unterhaltend ist. Sie verliebt zu machen, ist ein Triumph.«
Bei aller geheuchelten Kälte und Gleichgültigkeit packte Valerie ihren ehemaligen Hausgenossen bei seiner Eitelkeit, ohne es übrigens zu wissen, denn sie hatte keine Ahnung vom Charakter der Polen. Er hat Mut, Geist und Schwung; aber unter dem Einflüsse seiner Sprunghaftigkeit hat weder sein Mut noch seine Kraft noch sein Geist Methode. An der Wiege dieser verführerischen Rasse hat eine Fee gestanden und gerufen: »Du bist glänzend begabt, aber du wirst nie wissen, was du willst!«.
An dem Tage, wo sich diese einzigartige sanguinische Rasse einen gesunden Menschenverstand aneignen wird, ist ihr der Erfolg gesichert.
Wie dieses Volk im ganzen, so ist der Slawe zumeist auch in seinem Einzelleben, zumal wenn ihm nicht alles so geht, wie er es will. Steinbock, der seit drei Jahren seine Frau anbetete und wohl wußte, wie sehr sie ihn vergötterte, war dermaßen pikiert darüber, daß ihn Frau Marneffe kaum zu bemerken schien, daß er es sich zur Ehrensache machte, ihre Beachtung zu erzwingen. Indem er sie mit seiner Frau verglich, gab er ihr den Vorzug. Hortense war ein schönes Sinnenweib, wie Valerie einmal zu Lisbeth gesagt hatte. Valerie dagegen besaß lebhaften Witz und das Mousseux der Sünde. Horteases demütige Hingabe war etwas, was der Ehemann als ihm gebührend hinzunehmen pflegt. Das Bewußtsein des Wertes einer absoluten Liebe geht sehr schnell verloren, etwa wie ein Schuldner sich nach einer gewissen Zeit einbildet, das geliehene Geld gehöre ihm. Die erhabene Treue ist das tägliche Brot der Seele, verführerische Untreue ein Leckerbissen des Herzens. Eine sprödstolze Frau reizt die Sinne, wie Gewürz ein gutes Gericht erst schmackhaft macht. Die von Valerie so gut gespielte Nichtbeachtung war obendrein für den seit drei Jahren an leichte Siege gewöhnten Künstler etwas Neues. Hortense war die geborene Ehefrau, Valerie die geborene Geliebte.
Viele Männer brauchen beide Ausgaben des Weibes nebeneinander, obgleich es eigentlich ein Riesenbeweis für die Inferiorität des Mannes ist, aus seiner Frau keine Geliebte machen zu können. Dieses Hin- und Herschwanken ist ein Zeichen von Ohnmacht. Treue ist immer höchste Liebe,
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