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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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liegt eine ganze Sprache. Das wissen die Frauen sehr wohl. So einfach dieser Akt der Höflichkeit an sich zu sein scheint: an ihren Bewegungen dabei, ihren Gesten, ihren Blicken, ihrer Stimme, ihrer Betonung kann man eine lehrreiche Studie machen. Man kann dabei alle weiblichen Empfindungen beobachten: von der Abneigung bis zur Gleichgültigkeit und bis zum Liebesgeständnis. Je nach Willkür vermögen die Frauen dabei geringschätzig bis zur Beleidigung und demütig bis ins Morgenländisch- Sklavenhafte zu sein. Valerie war mehr als Weib; sie war die Weib gewordene Schlange.
    »Ich nehme so viele Tassen Tee«, sagte der Künstler, indem er aufstand und mit seinen Fingern die Hand Valeries leise streifte, »wie Sie mir reichen wollen, nur um sie mir so gereicht zu sehen... .«
    »Sie sprachen eben vom Sitzenmüssen?« fragte sie, als ob ihr die gierig erwartete und mit ganzem Herzen empfangene Huldigung entgangen wäre.
    »Vater Crevel will mir ein Exemplar Ihrer Gruppe für tausend Taler abkaufen.«
    »Tausend Taler, er, für eine Gruppe?«
    »Ja, das heißt, wenn Sie zur Delila sitzen wollen«, erläuterte Steinbock.
    »Ich hoffe, bei dem Preis bleibt es nicht«, meinte sie. »Die Gruppe könnte er ja gar nicht bezahlen, denn Delila müßte doch ein wenig dekolletiert sein... .«
    Ebenso wie Crevel seine Attitüde hatte, so haben alle Frauen eine gewisse einstudierte Pose, in deren Sieghaftigkeit sie sich gern bewundern lassen. Manche sieht man ihr ganzes Leben lang, wie sie ihre Spitzenmanschetten betrachten oder die Achselbänder ihres Kleides zurechtzupfen oder den Schimmer ihrer Augen leuchten lassen, indem sie zur Decke aufblicken. Frau Marneffe kokettierte nicht wie die meisten andern mit ihrem Gesicht. Sie wandte sich wie mit einem Ruck ab und schritt zum Teetisch zurück, wo Lisbeth stand. Bei dieser tänzerinnenhaften Bewegung beschrieb ihr Kleid gewisse Linien. Damit hatte sie dereinst den Baron Hulot für sich erobert. Jetzt faszinierte sie den Künstler.
    »Deine Rache ist gelungen!« flüsterte Valerie der Tante Lisbeth ins Ohr. »Hortense wird reichliche Tränen vergießen und den Tag verfluchen, an dem sie dir Stanislaus geraubt hat.«
    »Solange ich noch nicht die Frau Marschall bin, habe ich gar nichts erreicht«, gab die Lothringerin zur Antwort. »Aber man fängt in der Familie allgemein an, es zu wollen. Heute vormittag war ich bei Viktor. Ich habe vergessen, es dir zu erzählen. Die jungen Hulots haben die Vauvinetschen Wechsel des Barons eingelöst. Morgen unterschreiben sie einen Schuldschein über zweiundsiebzigtausend Francs zu fünf Prozent, fällig in drei Jahren, mit hypothekarischer Sicherheit auf ihr Grundstück. Damit sind sie drei Jahre in Angst und Sorge, denn es wird ihnen nicht gelingen, die Hypothek auch weiterhin aufzunehmen. Viktor ist ganz niedergeschlagen. Er hat seinen Vater erkannt. Schließlich ist Crevel imstande, sich mit seinen Kindern zu entzweien; so wütend wird er über die Hilfeleistung sein.«
    »Der Baron muß doch nunmehr ohne jede Geldquelle sein?« fragte Valerie im Flüstertone die Freundin, wobei sie Hulot zulächelte.
    »Ich wüßte keine; allerdings wird im September sein Gehalt wieder frei.«
    »Er hat auch seine Lebensversicherung erneuert. Nun wird es Zeit, daß er Marneffe zum Kanzleidirektor macht. Heute abend werde ich seinen Vorgänger abhalftern.«
    »Lieber Neffe«, wandte sich Lisbeth an Stanislaus, »tritt den Rückzug an, ich bitte dich! Du machst dich lächerlich, du kompromittierst Valerie mit deiner Art, ihr Blicke zuzuwerfen. Ihr Mann ist blödsinnig eifersüchtig. Mach es deinem Schwiegervater nicht nach. Geh nach Haus! Ich bin sicher, Hortense wartet auf dich... .«
    »Frau Marneffe hat mir gesagt, ich solle bis zuletzt bleiben. Wir wollen zu dritt noch unser Geschäftchen erledigen«, gab Stanislaus zur Antwort.
    »Nein«, befahl Lisbeth, »ich werde dir die zehntausend Francs einhändigen. Ihr Mann hat sein Augenmerk auf dich gerichtet. Es wäre unvorsichtig, wenn du bliebest. Morgen um elf bringst du den Wechsel. Um die Zeit ist dieser Gorilla, der Marneffe, in seiner Kanzlei, und Valerie hat Ruhe ... Du hast sie doch gebeten, dir zu einer Gruppe zu sitzen ... Komm zuerst zu mir ... Sieh mal an!« Lisbeth fing einen Blick Steinbocks auf, der Valerie galt. »Ich wußte, du wirst ein Roué. Valerie ist hübsch; aber gib dir Mühe, deiner Frau keinen Kummer zu bereiten!«
    Nichts ärgert verheiratete Männer mehr, als wenn ihnen

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