Tante Lisbeth (German Edition)
Verderben«, meinte Hortense lachend.
»Ach, mein Goldkind, du weißt es doch selbst nur zu genau: hat nicht jeder Tag Hindernisse, Abhaltungen und Geschäfte gebracht?«
»Leider ja, mein Lieb!«
»Hier drinnen habe ich tausend Ideen!« rief Steinbock, indem er sich auf die Stirn schlug. »Ja, meine Feinde sollen staunen! Ich werde einen Tafelaufsatz schaffen im Stile des mittelalterlichen Deutschlands, im Stile der Verträumtheit! Ich werde eine Welt der Märchen und Träume bannen! Chanor war ganz baff ... Ich hatte es aber auch nötig, wieder ein bißchen Courage zu fassen. Der letzte Artikel über das Montcornet-Denkmal hat mich höllisch mitgenommen.«
Noch am selben Abend, von diesem Erfolg verständigt, verlangte Valerie vom Baron Hulot, er solle Stidmann, Claude Vignon und Steinbock zum Diner einladen. Sie tyrannisierte ihn jetzt. Am andern Tage rüstete sie sich zum Turnier; das heißt sie widmete ihrer Toilette die raffinierteste Sorgfalt, besonders ihrem Haar, dessen leuchtendes Blond sie sich aschblond färben ließ. Diese matte Tönung verlieh ihr etwas Seltsames, Pikantes. Im tiefen Ausschnitt ihres schwarzsamtenen Kleides, an der reizvollsten Stelle, trug sie eine wundervolle Rose.
»Ich sehe zum Anbeißen aus!« rief sie selbstbewußt, während sie vor dem Spiegel ihre wirksamsten Posen durchprobierte, ganz wie eine Tänzerin ihre Schritte repetiert.
Lisbeth war in die Markthalle gegangen. Das Abendessen sollte eins der Schlemmermahle werden, wie sie Mathurine ehedem für ihren Bischof bereitet hatte, wenn er den Prälaten des benachbarten Sprengeis traktierte.
Stidmann, Claude Vignon und Graf Steinbock kamen fast gleichzeitig gegen sechs Uhr. Eine natürliche oder, wenn man will, alltägliche Frau wäre bei der Meldung eines so heiß begehrten Mannes in den Salon geeilt. Valerie jedoch, die seit fünf Uhr bereit war, zögerte. Ihre drei Gäste sollten ihr erst eine Weile untereinander ihre geheimen oder offen ausgesprochenen Gedanken widmen.
In ihrem Salon standen absichtlich jene entzückenden Sachen gleichsam im Vordergrund, die Paris und keine andere Stadt der Welt erzeugt und pflegt, jene Schätze einer Frau: Bronzen, Vasen, Statuetten, Meisterstücke aus Sevres, Meißener Porzellan und dergleichen Dinge, die alle enorm teuer sind und die geschaffen werden, um im ersten Rausch oder beim letzten Versöhnungsversuch einer Leidenschaft geschenkt zu werden.
Valerie genoß übrigens gerade die Freuden eines Erfolges. Sie hatte Crevel versprochen, dermaleinst, nach Marneffes Tode, seine Frau zu werden, und der verliebte Mann hatte auf ihren Namen zehntausend Francs Rente eintragen lassen. Er hatte das Kapital davon in den letzten drei Jahren durch seine Eisenbahnaktien verdient. Somit besaß Valerie im Augenblick zweiunddreißigtausend Francs Rente. Crevel war fernerhin im Begriff, ihr noch ein weit größeres Geschenk zu machen. In der Verrücktheit seiner Leidenschaft glaubte er, seine »Prinzessin von zwei bis vier« – Valerie hatte sich in der Rue du Dauphin selber übertroffen – zu der ihm versprochenen Treue dadurch begeistern zu müssen, daß er ihr die Aussicht auf den Besitz eines reizenden kleinen Palastes eröffnete, den sich ein ungeschickter Spekulant in der Rue Babette erbaut hatte und der zu verkaufen war. Valerie sah sich schon in diesem entzückenden Hause mit einem Garten, eigenem Wagen und so weiter.
»Bei einem anständigen Leben und in so kurzer Zeit und so leicht – das ist nicht so einfach!« sagte sie zu Lisbeth, die ihr beim Ankleiden half. Sie war mit zu Tisch eingeladen worden, um mit Steinbock gewisse Dinge zu besprechen.
Strahlend vor Glück, graziös und doch in bescheidener Haltung betrat Valerie endlich den Salon. Lisbeth folgte ihr unmittelbar, schwarz und gelb gekleidet, als Folie, wie man zu sagen pflegt.
»Guten Tag, Claude«, begrüßte Valerie den berühmten einstigen Kritiker, indem sie ihm die Hand reichte.
Claude Vignon war, wie so viele andere, »Politiker« geworden. Damit bezeichnete man Ehrgeizige auf der ersten Stufe ihrer Laufbahn. Der »Politiker« von 1840 war gewissermaßen das, was der Abbé im Frankreich des achtzehnten Jahrhunderts war. Kein Salon konnte ohne seinen »Politiker« bestehen.
Lisbeth stellte ihrer Freundin den Grafen Steinbock vor, den diese noch nicht bemerkt zu haben sich den Anschein gab.
»Liebe Valerie, mein Neffe Graf Steinbock.«
Anmutsvoll neigte Valerie den Kopf zum Gruße.
»Ich kenne Sie bereits
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