Tante Lisbeth (German Edition)
Baronin aus, und Tränen kamen ihr in die Augen, »Sie! Wie kann ich Ihnen das vergelten? Ich kann nichts für Sie tun als Sie in mein Gebet einschließen!«
»Der Dank gehört dem Herzog ...«
Josepha erzählte nun Vater Thouls Schicksale.
»Dank Ihrer Güte, Fräulein, hat es meinem Manne also an nichts gefehlt?«
»Nein, gnädige Frau.«
»Und wo ist er augenblicklich?«
»Ich kann es nicht sagen. Vor ungefähr einem halben Jahre hat mir der Herzog erzählt, daß der Baron, der seinem Notar nur unter dem Namen »Thoul« bekannt ist, achttausend Francs in den vorgeschriebenen Vierteljahrsraten ausgezahlt bekommen habe. Seitdem haben weder ich noch der Herzog etwas über ihn erfahren. Wir vom Theater sind dermaßen in Anspruch genommen, wir haben so wenig Zeit, daß ich wirklich nicht hinter ihm habe her sein können. Zufällig ist seit einem halben Jahre auch die kleine Bijou, meine Stickerin, seine – wie soll ich sagen ...«
»Seine Geliebte!« ergänzte die Baronin.
»Seine Geliebte, ja! Sie ist so lange nicht zu mir gekommen. Möglicherweise haben sie sich inzwischen getrennt. Derlei geht manchmal schnell.«
Der Spießbürger sieht in jedem genialen Menschen eine Art Ungeheuer, das ganz anders als andere Leute ißt, trinkt, spricht und dahinwandelt. Ähnlich hatte Frau von Hulot erwartet, wunder was für eine Josepha kennenzulernen: die Sängerin, die amüsante, sinnliche, intrigante Kurtisane – und nun fand sie eine ruhige, vernünftige Frau, eine jener schlichten Künstlerinnen, die sich um so einfacher geben, als sie wissen, daß sie am Abend Königinnen sind. Sie fand eine Frau, die ihr in Demut huldigte.
Der Diener kam nach einer halben Stunde zurück und meldete:
»Fräulein Bijou kommt nicht, aber ihre Mutter: sie ist schon unterwegs. Fräulein Bijou hat sich verheiratet...«
»Das heißt wohl bloß so?«
»Nein, gnädiges Fräulein, richtig verheiratet! Sie hat den Eigentümer eines Riesen-Modebasars auf dem Boulevard des Italiens geheiratet, einen Millionär, und ihr Stickereigeschäft hat sie ihrer Mutter und Schwester überlassen. Sie heißt jetzt Frau Grenouville.«
»Ich fürchte, gnädige Frau«, bemerkte Josepha, »wir werden erfahren, daß der Baron nicht mehr dort ist, wo ich ihn untergebracht habe.«
Zehn Minuten später wurde Frau Bijou gemeldet. Der Vorsicht halber führte Josepha die Baronin in einen kleinen Nebensalon. Die trennende Portiere zog sie zu.
»Ihre Anwesenheit würde die Frau nur befangen machen«, sagte sie zu Adeline. »Sobald sie merkt, daß ihre Mitteilungen für Sie von Wichtigkeit sind, sagt sie kein Wort mehr. Lassen Sie mich die Beichte abnehmen! Bleiben Sie verborgen! Sie werden hier alles hören ... Da sind Sie ja, Mutter Bijou!«
Eine alte Frau war eingetreten, die wie eine Hausmannsfrau im Sonntagsstaat aussah.
»Habt Ihr aber ein Glück!«
»Glück? Na, meine Olympia gibt uns alle Monate hundert Francs. Dabei hat sie Kutsche und Pferde und wühlt nur so im Gelde. Sie ist Millionärin. Sie könnte schon ein bißchen mehr für mich tun. Ich alte Frau muß mich noch im Geschäft abrackern.«
»Hm! Sie sollte Ihnen dankbarer sein. Sie verdankt Ihnen ihre Schönheit... Warum läßt sie sich übrigens gar nicht bei mir sehen? Ich habe ihr aus ihrem Elend herausgeholfen, als ich sie mit meinem Onkel zusammenbrachte...«
»Freilich!« sagte die Alte. »Mit dem Vater Thoul! Der war zuletzt recht pumpelig geworden!«
»Zuletzt? Wo habt Ihr ihn denn gelassen? Wohnt er denn nicht mehr bei Euch? Es wäre eine schöne Dummheit, wenn Ihr den hättet schwimmen lassen! Er ist wieder steinreich.«
»Nee so was! Du lieber Herrgott, ich hab es ihr immer gesagt, wenn sie den armen alten Kerl schlecht behandelte. Und er war so seelensgut. Sie hielt ihn immer im Trabe! Ja, meine Olympia ist ein Racker!«
»Wieso?«
»Ja, wissen Sie, gnädiges Fräulein, sie hatte nämlich einen Claqueur kennengelernt, den Neffen eines alten Tapezierers in der Faubourg Saint-Marceau, einen Schlingel sondergleichen, aber einen hübschen Burschen. Chardin heißt er. Er macht den lieben langen Tag nichts, ißt und trinkt gut und klatscht abends, was das Zeug hält. Das ist seine Arbeit. Die Weibsbilder sind alle wie toll auf ihn. Überall ist er Hahn im Korbe. Olympia hatte an ihm einfach einen Narren gefressen. Sie gab ihm all das Geld, das ihr Vater Thoul schenkte. Er verspielte es natürlich. Nun hat der Nichtsnutz auch eine hübsche Schwester, ein liederliches Frauenzimmer im
Weitere Kostenlose Bücher