Tante Lisbeth (German Edition)
behaupten«, gab er zur Antwort, »du hättest ein Verhältnis mit Stanislaus. Du, die Tugend selber!«
»Natürlich hab ich ihn lieb, unsern braven Stanislaus!« rief sie aus, stürmte auf den Künstler zu und umarmte ihn. »Der arme Junge! Er hat kein Weib und keinen Mammon! Weißt du, Cölestin! Er ist mein Dichter und mein geliebtes Kind! Muß man denn immer und überall gleich Böses sehen? Kann man denn die Gesellschaft eines Mannes nicht harmlos genießen? Wir armen Frauen haben es recht schwer! Wer hat mich denn übrigens angeschwärzt?«
»Viktor!«
»Der! Du hättest ihm den Juristenschnabel mit den zweihunderttausend Francs seiner unnahbaren Frau Mama verstopfen sollen! Sie sollen sich nur in acht nehmen!« drohte Valerie, indem sie ein böses Gesicht zog. »Entweder empfangen sie mich, und zwar auf das beste, und machen mir allesamt ihren Gegenbesuch – oder sie sollen was erleben! Die Baronin soll noch ehrloser dastehen als ihr Mann! Ich werde endlich auch einmal schlecht!«
Um drei Uhr las der Notar Berthier den Ehevertrag vor, nachdem er vorher eine kurze Konferenz mit Crevel gehabt hatte. Crevel erkannte seiner künftigen Ehefrau folgendes Vermögen zu:
1. Ein Jahreseinkommen von vierzigtausend Francs aus einzeln bezeichneten Wertpapieren; 2. das Haus mit der Einrichtung; 3. drei Millionen in bar.
Dazu machte er ihr alle gesetzlich statthaften Schenkungen und entband sie von jeglicher Buchführung. Für den Fall des Ablebens eines der beiden Gatten, ohne daß Kinder da wären, vermachten sie sich gegenseitig ihr gesamtes Vermögen, Mobilien und Immobilien. Dieser Vertrag setzte Crevels Vermögen auf einen Rest von zwei Millionen Kapital. Für den Fall, daß der zweiten Ehe Kinder entsprossen, wurde Cölestines Erbteil auf fünfhunderttausend Francs festgesetzt. Das war ungefähr der neunte Teil von Crevels Vermögen vor der Wiederverheiratung.
Tante Lisbeth trug die Maske der Verzweiflung, als sie zum Mittagstisch in die Rue Louis-le-Grand zurückkam. Sie berichtete ; eingehend über den Ehevertrag. Viktor wie Cölestine zeigten aber keinerlei Erregung über diese schlimme Nachricht.
»Kinder, warum habt ihr euren Vater gereizt!« jammerte Lisbeth. »Die Valerie brennt darauf, euch einen Besuch zu machen und euren Gegenbesuch zu empfangen!«
»Niemals!« erklärte der junge Hulot.
»Niemals!« wiederholte seine Frau.
»Niemals!« beteuerte Hortense.
Lisbeth spürte das Verlangen, diese stolzen Hulots zu demütigen.
»Mir kommt es so vor«, sagte sie, »als besäße dieses Weib Waffen gegen euch! Genau weiß ich noch nicht, um was es sich handelt, aber ich werde das schon herauskriegen! Sie munkelte etwas von zweihunderttausend Francs, von einer Geschichte zwischen Crevel und Adeline ...«
Die Baronin sank auf das Sofa, auf dem sie saß, und bekam ihre Nervenzuckungen.
»Tut ihr nur endlich den Gefallen, liebe Kinder!« stammelte sie. »Empfangt sie! Crevel ist ein Mann ohne Ehrgefühl! Gott wird ihn strafen! Sie ist ein Scheusal und weiß alles!«
Nach diesen von Tränen und Schluchzen unterbrochenen Worten fand sie die Kraft, von Cölestine und Hortense gestützt, in ihr Zimmer hinaufzugehen.
»Was soll das bedeuten?« fragte Lisbeth den allein mit ihr zurückgebliebenen Viktor!
Der Anwalt, in hohem Grade erregt, überhörte ihre Frage.
»Lieber Viktor, was ist dir?« erkundigte sie sich.
»Ich bin entsetzt!« gab er zur Antwort. Sein Gesicht hatte einen drohenden Ausdruck angenommen. »Wehe dem, der meine Mutter antastet! Dann kenne ich keine Bedenken mehr! Wenn ich es könnte, vernichtete ich diese Giftschlange. Sie wagt sich an das Leben und die Ehre meiner Mutter!«
»Im Vertrauen unter uns gesagt, lieber Viktor«, begann Lisbeth von neuem, »sie hat gedroht, euch noch tiefer stürzen zu wollen als deinen Vater. Crevel hat tüchtige Vorwürfe bekommen, weil er dich nicht dadurch auf ihre Seite gebracht hätte, daß er dir das Geheimnis offenbart, das Adeline so aufzuregen scheint.«
Der Arzt kam, nach dem man geschickt hatte, da sich der Zustand der Baronin verschlimmerte. Nachdem sie Arznei eingenommen, verfiel sie in tiefen Schlaf. Der Arzt befürchtete geistige Störungen.
Durch den Neffen der Frau Nourrisson, den Polizeibeamten, dem Viktor einen Boten sandte, ließ er diese Frau nochmals zu sich bitten. Als er die unheimliche Person in seinem Arbeitszimmer wiederum vor sich hatte, fragte er sie:
»Nun, liebe Frau, wie weit sind wir?«
»Sie haben sich die Sache also
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