Tante Lisbeth (German Edition)
einen malerischen Reiz verlieh. Wie eine der Madonnen des van Eyck oder Cranach, wie eine aus ihrem Rahmen herausgetretene byzantinische Madonna erinnerte sie in ihrer Ungelenkigkeit an das Stilisierte jener mystischen Gestalten, Schwestern der Isis und der Götterbilder der altägyptischen Skulptur. Sie war wandelnder Granit, Basalt oder Porphyr. Seit sie bis ans Ende ihres Lebens vor Not geschützt war, hatte sie die liebenswürdigste Laune. Wo sie zu Tisch erschien, brachte sie Fröhlichkeit mit. Übrigens bezahlte ihr der Baron die Miete der kleinen Wohnung, in die, wie wir wissen, das alte Mobiliar aus dem Boudoir und dem Schlafzimmer ihrer Freundin Valerie gekommen war.
»Ich habe das Leben so richtig als verhungerte Katze begonnen«, pflegte sie zu sagen, »und ich beschließe es als Löwin.«
Übrigens verfertigte sie nach wie vor die schwierigsten Stickereien für die Firma Rivet, einzig und allein, wie sie sagte, um die Zeit nicht zu vergeuden. Dabei war ihr Leben, wie man noch sehen wird, außerordentlich beschäftigungsreich. Es steckt nun einmal in den vom Lande stammenden Menschen tief drinnen, daß sie keine Gelegenheit, sich etwas zu verdienen, unausgenutzt lassen. Darin gleichen sie den Juden.
Jeden Morgen ging Lisbeth ganz zeitig mit der Köchin in die Markthalle. Das Ausgabenbuch, das den Baron zugrunde richtete, sollte ihre geliebte Valerie bereichern. Und in der Tat geschah es. Es gibt keine Hausfrau, die seit 1838 nicht die unheilvollen Wirkungen der antisozialen Theorien erfahren hätte, die durch mordbrennerische Schriftsteller in den unteren Volksschichten verbreitet worden sind. In allen Haushaltungen ist heutzutage die Dienstbotenfrage auch der finanziell wunde Punkt. Mit ganz seltenen Ausnahmen sind Koch und Köchin Hausdiebe, in Lohn genommene Räuber, denen die Gesetze obendrein noch freundlich beistehen. Wo diese Dienstboten ehedem einen Taler bekamen, den sie in der Lotterie verspielten, nehmen sie heutzutage fünfzig Francs, die auf die Sparkasse wandern. Dabei bilden sich die langweiligen Tugendbolde, die zu ihrem Vergnügen philanthropische Experimente in Frankreich anstellen, noch ein, sie hätten das Volk moralisch gehoben. Zwischen dem Tisch der Herrschaft und dem Markt haben die Dienstboten einen geheimen Zoll eingerichtet. Außer dem Aufschlage, den sie auf die Lebensmittel legen, fordern sie auch noch von den Händlern einen hohen Rabatt. Die Kaufleute zittern vor dieser geheimen Macht. Ohne Einspruch besolden sie das ganze Gesindel. Wer den Versuch der Nachrechnung macht, dem antworten die Dienstboten mit Unverschämtheiten oder sie fügen ihm unter dem Mantel der Ungeschicklichkeit großen Schaden zu. Heutzutage ziehen die Dienstboten Erkundigungen über die Herrschaft ein, genauso wie es ehedem die Herrschaft über die Dienstboten tat. Die Statistik schweigt über die erschreckliche Zahl von Eheschließungen zwischen zwanzigjährigen Arbeitern und vierzig- bis fünfzigjährigen ehemaligen Köchinnen, die durch Diebstahl zu Vermögen gekommen sind. Die Folgen derartiger Ehen sind in dreifacher Hinsicht beklagenswert: der Haushalt verteuert, das Verbrechertum gefördert und die Rasse verschlechtert. Vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus ist die durch die Dienstbotendiebstähle verursachte Schädigung riesig. Das dadurch um das Doppelte verteuerte Leben macht in vielen Familien jeden Luxus unmöglich. Der halbe Handel im Lande beruht aber auf dem Luxus. Und dann ist er der Schmuck des Lebens. Blumen und Bücher sind vielen Menschen ebenso unentbehrlich wie das Brot.
Mit dieser Pariser Dienstbotennot wohlbekannt, hatte Lisbeth aus den tiefsten Vogesen eine Verwandte mütterlicherseits ins Marneffesche Haus gezogen, die ehemalige Köchin des Bischofs von Nancy, eine fromme und grundehrliche alte Jungfer. Trotzdem fürchtete sie die Unerfahrenheit ihrer Verwandten in den Pariser Verhältnissen und vor allem die schlechten Ratschläge, die so oft die immerhin gebrechliche Ehrlichkeit zum Straucheln bringen, und so begleitete sie Mathurine – so hieß die Köchin –, um ihr die Kunst des Einkaufens beizubringen. Den richtigen Preis der Waren kennen, damit die Verkäufer Achtung vor einem bekommen, alles zur rechten Jahreszeit kaufen, zum Beispiel Fische, wenn sie nicht teuer sind, unterrichtet sein über die Preisschwankungen, die Steigerungen voraus wissen und bei niedrigen Preisen einkaufen, dieser wirtschaftliche Sinn ist in Paris die Hauptbedingung eines sparsamen
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