Tante Lisbeth (German Edition)
hündischen Unterwürfigkeit empfand sie süßeste Wollust. Ihre Plaudereien jeden Morgen gewährten ihr mehr Vergnügen als einst die mit Stanislaus. Sie lachten zusammen über ihre gemeinsamen Bosheiten und über die Dummheit der Männer. Sie rechneten zusammen das Anwachsen ihrer immer ansehnlicheren Kapitalien aus. Übrigens hatte Lisbeth in ihrer neuen Freundschaft und ihrem neuen Leben ein viel ergiebigeres Arbeitsfeld für ihren Tatendrang gefunden als ehedem in ihrer sinnlosen Liebe zu Stanislaus. Die Genüsse des befriedigten Hasses sind die heißesten und stärksten Herzensfreuden. Die Liebe ist gewissermaßen das Gold und der Haß das Eisen im Schacht der Gefühle in uns. Die Menschen beten mit Vorliebe an, was sie selbst nicht besitzen. Bei ihren Erfolgen war Valerie in Lisbeths Augen die Verkörperung der Schönheit, und zwar einer Schönheit, die ihr viel liebenswerter dünkte als die des Bildhauers, der ihr gegenüber immer kalt und gefühllos gewesen war.
Nach drei Jahren nahm Lisbeth bereits die Fortschritte ihres heimlichen Zerstörungswerkes wahr, dem sie ihr ganzes Leben und all ihr Sinnen und Trachten weihte. Sie machte Frau Marneffe zur handelnden Person. Aber dabei war diese nur das Beil und Lisbeth die Hand, die es führte. Und diese Hand zertrümmerte mit raschen Schlägen jene Familie, die ihr von Tag zu Tag verhaßter wurde. Es ist mit dem Haß wie mit der Liebe. Wenn man liebt, liebt man alle Tage mehr. Liebe und Haß sind Gefühle, die sich durch sich selbst ernähren, nur daß der Haß langlebiger ist. Der Born der Liebe ist nicht unerschöpflich. Die Liebe lebt von den überschüssigen Kräften im Menschen. Der Haß aber gleicht dem Tode. Er lebt von nichts, ähnlich wie der Geiz. Er ist etwas negativ Lebendiges, etwas, das über dem Leben und den Dingen steht.
Lisbeth hatte einen Beruf gefunden, zu dem sie wie geschaffen war. Sie entfaltete dabei alle ihre Fähigkeiten. Sie ward wie das Jesuitentum zu einer geheimen Macht. Sie entwickelte sich zu einer vollen Persönlichkeit. Ihr Gesicht leuchtete. Sie träumte davon, die Marschallin Hulot zu werden.
Jene rückhaltlose Aussprache der geheimsten Gedanken der beiden Freundinnen hatte unmittelbar nach Lisbeths Rückkehr von der Markthalle stattgefunden. Sie hatte dort das Nötige zu einem erlesenen Abendessen besorgt. Marneffe, der nach dem Kanzleidirektorposten trachtete, den ein gewisser Coquet einnahm, hatte diesen samt seiner spießbürgerlichen Frau eingeladen. Valerie hoffte, die Pensionierung dieses Beamten bei Hulot noch am Abend durchzusetzen.
Lisbeth kleidete sich an, um zur Baronin zu gehen, wo sie zu Mittag essen wollte.
»Du kommst doch zurück, um den Tee zu reichen, liebe Lisbeth?« fragte Valerie.
»Ich hoffe.«
»Was, du hoffst bloß? Willst du mit Adeline zusammen schlafen, um ihre nächtlichen Träume zu trinken?«
»Wenn ich das könnte!« antwortete Lisbeth lachend. »Das möchte ich! Sie büßt für ihr Glück. Ich bin selig. Ich erinnere mich meiner Kindertage. Es kommt jeder einmal dran im Leben! Sie soll im Rinnstein sterben, und ich, ich will Gräfin von Pforzheim werden!«
Tante Lisbeth begab sich nach der Rue Plumet. Seit einiger Zeit ging sie dahin wie zu einem Schauspiel, um sich an Gefühlserregungen zu weiden.
Die von Hulot für seine Frau ausgesuchte Wohnung bestand aus einem weitläufigen Vorzimmer, einem Salon, einem Schlafzimmer nebst Ankleideraum. Das Eßzimmer stieß an den Salon. Zwei Dienstbotenstuben und die Küche, im dritten Stock gelegen, vervollständigten die Wohnung, die für einen Staatsrat und Abteilungschef im Kriegsministerium noch ganz standesgemäß war. Haus, Hof und Treppe waren hochherrschaftlich. Die Baronin hatte den Salon, ihr Zimmer und das Eßzimmer mit den Überbleibseln vergangenen Glanzes ausschmücken müssen; sie hatte die besten Stücke aus der alten Wohnung ausgewählt. Übrigens hing sie an diesen stummen Zeugen ihres einstigen Glücks. Sie sprachen ihr gleichsam Trost zu. Sie sah die Blumen in ihren Erinnerungen genauso, wie sie auf den alten Teppichen die für andere Augen kaum mehr sichtbaren Rosen noch erkannte.
Wenn man in das weite Vorzimmer mit seinem Dutzend Stühle, einem großen Ofen, einem Barometer, langen weißen Kattunvorhängen mit roten Kanten trat, bekam man Herzbeklemmung. Das sah alles aus wie in den gräßlichen Wartezimmern der Ministerien. Man ahnte sofort, in welcher Einsamkeit diese Frau lebte. Lust wie Leid schaffen sich ihre
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