Tante Lisbeth (German Edition)
der Plastik nichts verstand, und die ebenso unkundige Baronin priesen es als Meisterleistung. Der Kriegsminister kam; man führte und beeinflußte ihn, und so war er angesichts der vor eine grüne Leinwand und in günstige Beleuchtung gesetzten Figur zufrieden. Aber während der Kunstausstellung von 1841 hörte man nichts als Tadel. Die Leute ärgerten sich über den allzu plötzlich hochgehobenen Künstler, und der Tadel verstieg sich bis zu Hohn und Spott. Stidmann versuchte, seinen Freund zu belehren; er wurde der Eifersucht bezichtigt. Die Aufsätze in den Zeitungen waren für Hortense Stimmen des Neides. Stidmann, der gute Junge, setzte Aufsätze gegen jene Besprechungen durch, in denen betont wurde, daß Künstler in der Regel zwischen Gips und Marmor beträchtliche Ummodelungen vornehmen; man dürfe eigentlich nur in Marmor ausstellen. »Der Gips«, schrieb Claude Vignon, »sei das Manuskript, der Marmor das fertige Buch.«
In zwei und einem halben Jahre brachte Steinbock also eine Statue und ein Kind fertig. Das Kind war schön, die Statue abscheulich. Sie und die Uhr für den Fürsten tilgten die Schulden des jungen Haushalts. Steinbock hatte inzwischen die Gewohnheit angenommen, in die Gesellschaft zu gehen, das Theater und die Italienische Oper zu besuchen. Er verstand bewundernswürdig über die Kunst zu plaudern und behauptete sich in der Gesellschaft durch seine kritischen Äußerungen als künstlerische Autorität. In Paris gibt es »geniale« Menschen, die ihr Leben lang weiter nichts tun, als daß sie von sich reden machen; sie begnügen sich mit einer Art Salonruhm. Steinbock machte es diesen scharmanten Eunuchen nach! Seine Abneigung gegen die Arbeit wuchs von Tag zu Tag. Immer, wenn er zu arbeiten begonnen, übermannten ihn alle Hemmnisse des künstlerischen Schaffens, und sie entmutigten ihn bis zur Willenserschlaffung. Die Inspiration mied ihn.
Die Skulptur ist, ähnlich wie die dramatische Kunst, die schwierigste und leichteste aller Künste. Das Leben kopieren, und das Werk ist fertig! Aber es beseelen, aus einer Kopie einen männlichen oder weiblichen Typ schaffen, das ist prometheisch. Große Plastiker gibt es in den Jahrbüchern des Menschengeschlechts ebenso wenige wie große Dichter. Ein einziges echtes Werk genügt zur Unsterblichkeit eines Meisters. So hat die Gestalt des Figaro, des Lovelace, der Manon Lescaut genügt, um Beaumarchais, Richardson und Prévost unsterblich zu machen. Michelangelos Denker in Florenz und Albrecht Dürers Muttergottes im Mainzer Dom leben ewig. Solche Werke sind Taten. Das Geheimnis dieses gewaltigen Erfolges liegt in ausdauernder gleichmäßiger Arbeit, denn die technischen Schwierigkeiten müssen derartig bezwungen werden, die Hand des Künstlers muß so geschickt und gehorsam sein, daß er gleichsam Seele gegen Seele mit einem unfaßbaren Wesen ringt, das er zugleich verklärt und verkörpert. Beständige Arbeit ist das oberste Gesetz in der Kunst wie im Leben. Kunst ist freiestes Schaffen. Große Künstler müssen unabhängig von Bestellern und Käufern arbeiten. Sie schaffen immerdar. Canova ist aus seinem Atelier nicht herausgekommen.
Stanislaus Steinbock war auf dem steinigen Pfade, den alle großen Künstler wandeln und der zu den höchsten Gipfeln der Meisterschaft führt, als ihn Lisbeth in seiner Dachstube gefangenhielt. Das Glück, das ihm in Hortense erschien, machte ihn träge. Alle Künstler neigen zur Träumerei; sie ist ein künstlerischer Zustand: das Vergnügen des Paschas in seinem Harem. Künstler buhlen mit ihren Träumen; sie berauschen sich am Quell ihrer Seelen. Naturen aber von der Art Steinbocks werden von der Träumerei verzehrt; sie sind lediglich Träumer. Wie Opiumraucher gehen sie zugrunde. Nur wenn die rauhe Hand des Lebens sie packt, werden sie große Männer. Diese Halbkünstler sind zumeist bezaubernde Menschen. Man liebt und verwöhnt sie. Sie scheinen den in ihre Arbeit vergrabenen Künstlern überlegen, die man des Eigensinns, der Ungefälligkeit, des Widerspruchsgeistes bezichtigt. Die großen Männer gehören ihren Werken; sie erscheinen interesselos für alles andere; ihre Arbeitsbegeisterung wirkt auf Laien und Toren wie Egoismus. Man verlangt von ihnen vergeblich die Erfüllung herkömmlicher und weltlicher Pflichten. Man begegnet ihnen selten, und der großen Menge, die immer aus oberflächlichen, neidischen und ungebildeten Leuten besteht, bleiben sie unverständlich. Und nur großherzige Frauen vermögen sie
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