Tante Lisbeth (German Edition)
nur um so vernichtender begründen, daß ihm die Kunst großen Stils versagt sei... Ich habe Stidmann flehentlich um seine ehrliche Meinung gebeten. Er hat mir gestanden, seine Ansicht stimme mit der aller Künstler, der Kritiker und des Publikums überein. >Wenn Stanislaus<, meinte er, >nächstes Jahr kein Meisterwerk ausstellt, muß er die Plastik im großen Stil sein lassen und sich der Kleinkunst widmen.< Dieser Ausspruch hat mir den größten Schmerz bereitet, denn Stanislaus wird davon nichts wissen wollen. Er fühlt sich. Er trägt sich mit den wundervollsten Ideen ...«
»Mit Ideen kann man keine Auftraggeber befriedigen«, meinte Lisbeth trocken. »Ich würde offen mit ihm reden, und sollte ich dabei sterben. Schon des Geldes wegen. Geld erhält man nur für fertige Werke. Und sie müssen dem Spießbürger gefallen, wenn er sie kaufen soll. Wenn es sich um die Existenz handelt, so ist ein Künstler besser daran, wenn er in seiner Werkstatt den Entwurf eines Leuchters, eines Aschenbechers, eines Tisches stehen hat als das Modell einer Statue oder einer Gruppe. Jene sind jedermanns Bedürfnisse, während reiche Kunstliebhaber sich nicht alle Tage einstellen und mit der Bezahlung monatelang warten lassen.«
»Du hast recht, meine gute Lisbeth! Sag es ihm doch! Ich selber habe nicht den Mut dazu. Übrigens, wenn er sich auf die Kleinkunst beschränkte und auf große Schöpfungen verzichtete, dann entgingen uns auch die ihm in Aussicht gestellten Aufträge des Hofes, der Stadt Paris und des Ministeriums im Betrage von dreimalhunderttausend Francs. Das ist es ja nur, um was uns die beiden häßlichen Aufsätze bringen wollen. Sie sind von Konkurrenten veranlaßt worden, die ihm diese Aufträge wegschnappen wollen.«
»Armes Herzchen«, sagte Lisbeth, indem sie Hortense auf die Stirn küßte, »wo sind deine Träume von einst! Du ersehntest dir« einen großen Mann im Leben wie in der Kunst, einen führenden Meister der Plastik! Siehst du, das war eine Phantasterei! Um solche Utopien zu verwirklichen, hättest du Millionärin sein müssen; ihr aber habt nur zweitausendvierhundert Francs und nach meinem Tode dreitausend!«
Hortenses Augen füllten sich mit Tränen, an denen sich Lisbeth weidete wie eine Katze am Milchtopfe.
Die künstlerische Arbeit ist eine Jagd im Hochlande des Menschentums, eine der größten Leistungen der Erdenkinder. Zur Kunst muß man alle auf inneren Vorgängen beruhenden Schöpfungen rechnen. Was man am meisten an Künstlern bewundern sollte, das ist der Mut, ein Mut, den sich der Alltagsmensch gar nicht vorstellen kann.
In seinem früheren schrecklichen Elend war Stanislaus von Lisbeth wie ein Pferd zwischen Scheuklappen gehalten worden, Er hatte nicht nach rechts und links vom Wege blicken können. Unter der Zuchtrute dieses harten Mädchens, des verkörperten Zwanges, war der Künstler, ein geborener Träumer und Dichter, dazu getrieben worden, seine Konzeptionen zu verwirklichen. Ahnungslos überschritt er den tiefen Abgrund zwischen den beiden Welten der Kunst. Sinnen, träumen, schöne Werke seelisch zu empfangen ist ein köstlich Ding. Es ist das Rauchgekräusel einer Wunderzigarre. Es ist das Dirnenleben einer Phantasie. Das Werk ist da noch gleichsam ein ungeborenes schönes Kind, an dem man im Liebesrausch unsinnige Vorfreude genießt. Wer seine Schöpferträume in Worte fassen kann, ist bereits ein ungewöhnlicher Mensch. Diese Fähigkeit besitzen alle künstlerisch veranlagten Menschen. Nun kommt aber das Erzeugen, das Hervorbringen, das mühselige Aufziehen des Kindes. Es muß jeden Abend genährt, schlafen gelegt, jeden Morgen mit unerschöpflicher Mutterliebe wachgeküßt, gereinigt und hundertmal in schöne Kleider gehüllt werden, die immer wieder zerreißen. Den tollen Wirrwarr des Lebens zu bändigen und in einem Meisterwerke der Skulptur, Malerei, Dichtkunst oder Musik zu neuem Leben wiedererstehen zu lassen, das zu allen Menschen spricht, das heißt künstlerisches Schaffen. Die Hände müssen unermüdliche Diener der Phantasie sein. Und die Phantasie setzt sich in schaffende Kraft nur um, wenn die Liebe am Werke ausharrt.
Diese schöpferische Ausdauer, diese unermüdliche, gefühlsmäßige wie geistige Mütterlichkeit geht fabelhaft leicht verloren. Die Stimmung ist die Sonne des Genies. Die Inspiration ist ein ätherisches Wesen, das sich nicht fassen läßt, nicht an den Locken halten, weil es Flammenhaar hat. Die künstlerische Arbeit ist ein
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