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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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mitunter zu verstehen. Diese Rolle hatte in gewisser Beziehung Lisbeth gespielt; nur hätte lächelnde Liebe und sonnige Opferfreudigkeit im Geleite sein müssen.
    Durch die Leiden ihrer Mutter weitsichtiger geworden und unter dem Drucke schrecklicher Not erkannte Hortense zu spät, welche Fehler sie unbedacht aus übergroßer Liebe begangen hatte. Aber als würdige Tochter ihrer Mutter konnte sie es nicht übers Herz bringen, Stanislaus Zwang anzutun. Sie liebte ihn zu zärtlich, um sein Träumerleben zu vernichten, wenn sie auch den Augenblick näher und näher kommen sah, wo das Elend ihn, sie und das Kind packen mußte.
    »Ach was!« rief Lisbeth aus, als sie den schönen Augen ihrer Verwandten Tränen entrollen sah. »Man darf nie den Mut verlieren! Mit Tränen füllt man keinen Bouillontopf. Wieviel brauchst du?«
    »Fünf- bis sechstausend Francs.«
    »Ich habe im höchsten Falle dreitausend«, meinte Lisbeth. »Woran arbeitet Stanislaus zur Zeit?«
    »Stidmann hat ihm vorgeschlagen, mit ihm zusammen für sechstausend Francs einen Tafelaufsatz für den Herzog von Hérouville anzufertigen. Chanor wäre dann bereit, den Herren Leon von Lora und Bridau viertausend Francs zu zahlen, eine Ehrenschuld meines Mannes.«
    »Was? Ihr habt das Honorar für die Statue und die Reliefs zum Denkmal des Marschalls Montcornet bekommen und habt das nicht bezahlt?«
    »Siehst du«, wich Hortense aus, »seit drei Jahren brauchen wir jährlich zwölftausend Francs, und ich habe nur zweitausend Einkommen. Das Denkmal des Marschalls hat nach Abzug aller Kosten nur sechzehntausend Francs eingebracht. Ich gestehe dir: wenn Stanislaus nichts vollendet, weiß ich nicht, was aus uns werden soll. Ach, wenn ich die Bildhauerkunst erlernen könnte: was wollte ich arbeiten!«
    Sie hob die Arme; ihre Augen flammten. Das junge Mädchen war zur reifen Frau geworden.
    »Mein armes liebes Puttchen«, sagte Lisbeth, »eine kluge Frau verheiratet sich mit einem Künstler nicht eher, als bis er reich ist.«
    In dem Augenblick vernahm man die Tritte und Stimmen Stidmanns und Steinbocks. Sie geleiteten Chanor an die Tür. Bald darauf erschienen die beiden.
    Stidmann, allbekannt in der Welt der Journalisten, der besseren Schauspielerinnen und berühmten Halbweltlerinnen, war ein eleganter junger Mann, auf den es Valerie Marneffe abgesehen hatte, seitdem er ihr durch Claude Vignon vorgestellt worden war. Vor kurzem hatte er sein Verhältnis mit der berüchtigten Frau Schontz abgebrochen. Valerie und Lisbeth hatten von dem Bruch erfahren und hielten es für geboten, ihn nach der Rue Vanneau zu locken. Da Stidmann aus gewissen Rücksichten selten in Steinbocks Haus kam und Lisbeth nicht zugegen gewesen war, als ihn Valerie durch Claude Vignon kennenlernte, so sah sie ihn heute zum ersten Male. Während sie den berühmten Künstler musterte, bemerkte sie an gewissen Blicken, die Hortense galten, daß er möglicherweise der Tröster der Gräfin werden könne, wenn Stanislaus seiner Frau untreu würde. In der Tat war Stidmann der Gedanke nicht fern gewesen, daß diese herrliche Frau eine anbetungswürdige Geliebte sei, wenn er nicht Steinbocks Kamerad wäre. Aber sein Begehren ward durch sein Ehrgefühl in Schranken gehalten, und das war es, was ihn diesem Hause fernhielt. Lisbeth bemerkte die verräterische Unruhe, die sensible Männer in der Gegenwart einer Frau befällt, mit der zu liebäugeln sie sich versagen müssen.
    »Ein recht netter junger Mann!« flüsterte Lisbeth Hortense ins Ohr.
    »So? Findest du?« entgegnete sie. »Das ist mir noch nie aufgefallen.«
    »Bester Stidmann«, sagte Stanislaus leise zu seinem Kollegen, »offen, wie wir zueinander sind: Hortense und ich, wir müssen mit der alten Jungfer da geschäftliche Angelegenheiten besprechen.«
    Stidmann empfahl sich den beiden Damen und ging. Steinbock geleitete ihn.
    »Die Sache wäre gemacht«, berichtete Stanislaus, als er wieder ins Zimmer trat, »aber die Arbeit beansprucht ein halbes Jahr, und wir müssen in der Zeit zu leben haben.«
    »Ich versetze meine Brillanten«, rief die junge Gräfin mit der Überschwenglichkeit der liebenden Frau.
    Stanislaus bekam feuchte Augen.
    »Ich will arbeiten«, beteuerte er, indem er sich neben seiner Frau niederließ und sie auf den Schoß nahm. »Ich werde kunstgewerbliche Gegenstände schaffen, eine kleine Bronzegruppe...«
    »Geliebte Kinder«, begann Lisbeth, »ihr wißt doch, daß ihr meine Erben seid, und glaubt mir, ich hinterlasse euch

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