Tanz auf Glas
geht immer nur um dich, Lucy! Keine Diskussion! Du tust einfach das, was du willst. Und ich kann zum Teufel gehen. Ach, was soll’s …« Mickey machte Anstalten, über mich hinwegzusteigen, doch ich stand auf, und er verlor das Gleichgewicht und stürzte beinahe die Treppe hinunter. Ich packte ihn, aber er stieß mich von sich und setzte sich hin. »Lass mich in Ruhe, Lucy. Lass mich, verdammt noch mal, einfach in Ruhe.«
»Was sollte ich denn tun, wenn es nach dir ginge?«
Langsam hob er den Kopf. Er sah unglaublich traurig aus. In seinen Augen stand ohne die Feindseligkeit nur noch roher Schmerz. »Die Abtreibung machen lassen«, sagte er matt.
Ich sank an den Treppenpfosten und starrte meinen Mann an, der vor mir zusammensackte. Ich liebte ihn so sehr. Ich brauchte ihm nur entgegenzukommen, um die Situation zu retten. Ich konnte sein Leben wieder zusammensetzen, wenn ich nur tat, worum er mich bat. Aber ich liebte ihn viel mehr, als diese Abtreibung in seinen Augen beweisen würde.
»Vergiss es, Lucy«, sagte er und stand auf. »Es spielt keine Rolle, was ich will, weil du dich schon entschieden hast.« Er starrte mich für eine Weile an, so lange, bis ich mich wie von meinen eigenen Gedanken entblößt fühlte.
Ich stieß keuchend den Atem aus. »Mickey, bitte verschwende diese Zeit nicht darauf, wütend auf mich zu sein. Du wirst dir das nie verzeihen, wenn …«
»Ich habe es so satt, dass du alles besser weißt«, schnaubte er. »Ich hasse dich dafür, und bis du es dir anders überlegst, werde ich dich weiterhin hassen!« Er stützte sich am Geländer ab und stieg eine Stufe hoch. Er musste sich mal wieder rasieren und zum Friseur gehen. Sein Hemd war halb aus dem Hosenbund gerutscht, und er zog es jetzt ganz heraus.
»Ich gehe duschen«, sagte er und schob sich an mir vorbei.
»Ich werde sowieso sterben, Mickey«, sagte ich leise zur Wand. Ich wusste nicht, ob er mich überhaupt gehört hatte, bis er stehen blieb. Dann spürte ich seinen glühenden Blick.
»Es ist egal, ob ich das Baby abtreiben lasse oder nicht, Mic. Ich werde sterben. Und du weißt das auch. Chemotherapie oder Bestrahlungen oder Operationen oder eine Million Vitamininfusionen werden daran nichts ändern. Ich weiß nicht, wann – hoffentlich erst in vielen, vielen Monaten. Aber ich werde den Krebs nicht noch einmal überleben.« Ich drehte mich um und sah ihn an. Sein Gesicht war hart, undurchdringlich, doch meine Stimme klang beinahe unwirklich ruhig. »Wir müssen uns damit abfinden, damit wir aufhören, uns gegenseitig weh zu tun. Damit wir uns dem zuwenden können, was uns noch bleibt.«
Ich war so stolz darauf, dass ich bislang nicht weinte. Doch dann hörte ich ein Schluchzen aus Mickeys Kehle hervorbrechen und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Bitte«, flüsterte ich.
Ein Anflug von Zärtlichkeit huschte durch seine Augen, und er sah aus, als wollte er etwas sagen. Doch dann schüttelte er nur den Kopf und ging.
Mein ganzer Körper war vor Traurigkeit angeschwollen, und ich wusste nicht, woher ich die Kraft nehmen sollte, am nächsten Morgen aufzustehen und mich alldem erneut zu stellen. Ich hätte am liebsten ein ganzes Jahr lang geschlafen und wäre in einer Welt aufgewacht, in der Mickey nicht krank war und ich auch nicht, und in der wir ein langes Leben vor uns hatten. Ich schloss die Augen und weinte.
Während ich auf der Treppe saß und mich in meinem Elend wälzte, spürte ich den Hauch von etwas, das zauberhaft und vertraut war. Das Gefühl wand sich ganz langsam um mich herum, bis ich darin eingehüllt war, wie geborgen in einer liebevollen, tröstenden Hand. Mein Herzschlag beruhigte sich, und meine Tränen trockneten. Als ich die Augen aufschlug, war
sie
nicht zu sehen, aber das spielte keine Rolle. Ich wusste, dass sie hier gewesen war, denn ich spürte den Frieden, den sie hinterlassen hatte. Ich blieb noch ein paar Minuten lang so sitzen und sonnte mich in diesem Gefühl, bis es verflog und nur die Bestätigung zurückblieb, dass es nichts gab, wovor ich mich fürchten müsste.
Das Wasser im Bad rauschte nicht mehr, und ich hörte Mickey in der Kommode mit seiner Unterwäsche kramen. Als es in unserem Schlafzimmer still war, stand ich auf, betrat den dunklen Raum, zog mich aus und schlüpfte ins Bett. Mickey lag mit dem Rücken zu mir, also starrte ich zur Decke hoch und freute mich an dem Geschenk, das ich gerade bekommen hatte. Da bewegte sich das Baby in mir. Die Bewegung war stärker
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