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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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als das leichte Drehen und Flattern der vergangenen Wochen. Jetzt konnte ich unsere Tochter sogar unter meiner Hand spüren, und auf einmal freute ich mich wie verrückt. »Mickey?«
    »Ich kann nicht mehr, Lucy. Schlafen wir einfach, ja?«
    »Mickey, gib mir deine Hand.«
    »Lucy, ich bin müde.«
    »Bitte.«
    Widerstrebend drehte er sich zu mir herum, und ich legte seine Hand auf meinen Bauch. Eine ganze Weile lang blieb sie still, und ich dachte schon, Mickey sei eingeschlafen. Doch dann bewegte sie sich wieder, und ich spürte, wie Mickey erstarrte.
    »Was war das?«, flüsterte er. Sie trat wieder aus, ein schöner, kräftiger Tritt, und Mickey riss die Hand zurück und fuhr hoch. »Was
ist
das?«
    »Sie ist das.« Ich nahm erneut seine Hand, und er legte sich langsam hin. Das Baby strampelte kräftig, und noch einmal, und Mickey schob ein langes Bein über meine Beine und machte es sich bequem.
    »Ist das wirklich das Baby?«
    »Das ist unsere Tochter.«
    Ich spürte im Dunkeln, dass er zu weinen begann, und streichelte seine Wange. Bald schlangen sich seine Arme um mich.
    »Ich kann das nicht ohne dich«, stöhnte er.
    Ich konnte auch für ihn nicht zaubern, also streichelte ich nur seinen Kopf, bis er einschlief, und betete um eine kleine Atempause.
    Ehe Mickey am nächsten Morgen aufstand, küsste er meinen Bauch und betrachtete mich mit einer Art ehrfürchtigem Staunen, das ich bei ihm nicht mehr gesehen hatte, seit ich ihm gesagt hatte, dass ich schwanger war. Zärtlichkeit und die Bitte um Verzeihung sprachen aus seinem Blick.
    Leider verhinderte all das nicht, dass Mickey allmählich abrutschte. Es fügte nur noch eine grausame kleine Unebenheit hinzu: Er rang damit, sich auf ein Baby einzulassen, von dem er wusste, dass er es liebte, das ihn aber seine Frau kosten würde.

[home]
    20
    29 . August 2011
    M eine erste Erinnerung an mich als Geisteskranken ist ein Erlebnis, zwei Jahre bevor die Diagnose »manisch-depressiv« gestellt wurde. Ich lag in meinem Bett und hörte zu, wie meine Mutter im Zimmer nebenan an Traurigkeit starb. Der qualvolle Laut, den sie immer wieder von sich gab, erschien mir als der vollkommene Ausdruck der Hoffnungslosigkeit. Ich wollte, dass dieser Laut aufhörte. Ich wollte, dass sie lächelte und mich liebte und so war wie die Mom meines besten Freundes Jonathon. Die lachte und umarmte ihn. Sie kontrollierte Jonathons Hausaufgaben, und auch meine, wenn ich bei ihnen war. Ich wünschte, meine Mom könnte so sein.
    In jener Nacht stieg ich aus dem Bett – mit einem völlig logischen Plan, wie ich diesen Wunsch verwirklichen würde. An manchen Abenden schrie meine Mutter ihre Gebete so laut, dass ich sicher war, die Nachbarn müssten merken, wie verrückt sie war. Mein Bruder David brachte ihr dann immer Wasser und erinnerte sie daran, ihre Tabletten zu nehmen. Mein Dad redete sehr lieb mit ihr, solange er es aushielt, und dann ging er und kam erst spät wieder nach Hause. An dem Abend, als der Wahnsinn in mir erblühte, war ich überzeugt davon, dass Gott meinen Wunsch erfüllen würde, wenn ich ihn richtig anflehte. Aber da er meine Mutter offensichtlich nicht hören konnte, würde er mich natürlich auch nicht hören, also schrieb ich ihm mein Gebet. Ich schrieb es in mein Sozialkundeheft und war sicher, dass er es sehen würde, denn Gott sieht ja alles. Ich schrieb stundenlang, bis meine Hand zu weh tat. Ich schrieb die ganze Nacht lang. Nur ein Wort –
bitte.
9871 Mal.
     
    Das häufigste Symptom von Lungenkrebs ist Husten. Das liegt daran, hatte ich gelernt, dass die Läsion eine Reizung in den Atemwegen verursacht. Ich hustete seit mehreren Wochen, und Charlotte warnte mich, dass die Flüssigkeit, die sich wegen der Tumore in der Lunge ansammelte, irgendwann abgesaugt werden müsse. Das war mir klar. Ich hatte mich gründlich informiert und wusste, dass die Läsionen in meinem linken Lungenunterlappen ohne Intervention weiterwachsen würden. Ich sollte Charlotte sofort Bescheid sagen, wenn ich an Schmerzen in der Brust oder Atemlosigkeit litt oder Blut zu husten begann. Das waren Anzeichen für eine gefährliche Verschlimmerung meines Zustands.
    Charlotte beriet sich ständig mit Dr. Gladstone, den ich inzwischen als den Lungenmenschen bezeichnete. Ich war schon bei ihm im Krankenhaus gewesen und hatte in der kommenden Woche einen Termin bei ihm, weil er feststellen wollte, wie weit sich meine Lungenfunktion verschlechtert hatte. Dr. Gladstone würde mich

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