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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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an dem Beatmungsgerät stabil war, verlegte Dr. Harwood ihn von der Notaufnahme auf die Intensivstation. Ron, Lily und Priscilla gingen nach Hause, aber nur, weil sie keinen Zutritt zur Intensivstation bekamen. Dort ließen sie nur mich hinein, und ich hatte versprechen müssen, nicht lange zu bleiben. Das war jetzt zwei Stunden her, doch ich konnte immer noch nicht gehen. Was er getan hatte, war mir einfach unbegreiflich. Eine Frau? Eine Überdosis? So etwas hatte er noch nie gemacht. Am liebsten hätte ich ihn wachgerüttelt und ihn gezwungen, mir das zu erklären.
    Aber er schlief – oder war vielmehr bewusstlos. Er sah so friedlich aus, trotz der grünen Schläuche, die an seiner Wange festgeklebt waren. Traurigerweise war diese Auszeit, durch die Überdosis verursacht, der ruhigste, friedlichste Zustand, in dem ich Mickey seit Wochen erlebt hatte, und trotz allem war ich auf einmal voller Zärtlichkeit.
    Während ich so gedankenverloren an seinem Bett saß, spürte ich plötzlich eine sanfte Hand auf meiner Schulter. Als ich mich umsah, stand Lily neben mir.
    »Ich dachte, du wärst längst nach Hause gegangen.«
    Sie strich mir übers Haar. »Von da komme ich gerade. Ich musste doch nachsehen, ob es dir gutgeht.«
    »Ja, danke. Wie bist du hier reingekommen?«
    »Ich habe der Schwester gesagt, dass ich mir Sorgen um dich mache und dich nach Hause fahren will.«
    »Ich gehe gleich. Noch ein paar Minuten.«
    »Warum glaube ich dir nicht?« Sie küsste mich auf die Stirn und schaute dann auf Mickey hinab. Kopfschüttelnd starrte sie ihn an. »Wird er das überstehen, Lu?«
    »Ja.«
    Sie lehnte sich an das Seitengitter des Bettes und betrachtete meinen schlafenden Mann. Die ganze Haltung meiner Schwester war aufrichtig besorgt, sanft und ohne jedes Werturteil. Liebevoll drückte sie Mickeys Handgelenk. »Was du alles durchmachen musst«, sagte sie leise zu mir. »Es ist mir ein Rätsel, wie du das schaffst, Lucy.«
    »Immer einen Fuß vor den anderen, Lil. Kein Hexenwerk.« Ich streichelte Mickeys Wange und dachte an den Tag vor vielen Jahren zurück, an dem Gleason mir erklärt hatte, wie ein Leben mit Mickey aussehen würde. Ich hatte nicht lange gebraucht, um genau zu verstehen, was er damit meinte: Glasscherben. Im Moment tanzten wir barfuß auf einem ganzen Meer davon. Das ließ sich nicht leugnen, aber Mickey wusste, dass ich ewig mit ihm weitertanzen würde, wenn ich könnte, und mochten meine Füße noch so bluten.
    »Ich liebe ihn so sehr, Lil. Aber ich bin furchtbar wütend auf ihn. Warum hat er das getan? Warum gerade jetzt?«
    »Vielleicht geht es ihm mit deiner Entscheidung ganz genauso.«
    Ich sah meine liebe, kluge Schwester an und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
    »Bitte lass mich dich heimfahren, Liebes.«
    »Ich muss nur noch einmal kurz mit dem Arzt sprechen, dann gehe ich.«
    Lily beäugte mich, als wollte ich sie belügen. »Lucy, bitte bleib nicht die ganze Nacht lang hier.«
    »Nein. Versprochen.« Ich küsste sie auf die Wange.
    Um etwa Viertel nach drei überprüfte ein junger Assistenzarzt mit schlimmen Aknenarben Mickeys Vitalfunktionen. Dann betätigte er einen Schalter an dem Beatmungsgerät und begutachtete Mickeys Atemzüge ohne die Hilfe des Apparats. Offenbar war er mit dem Ergebnis nicht zufrieden, denn er schaltete das Gerät wieder ein und beobachtete den Monitor, bis der anzeigte, dass Mickey ausreichend mit Sauerstoff versorgt wurde. Dann sagte der junge Arzt, der kein Namensschild trug und sich nicht die Mühe gemacht hatte, sich mir vorzustellen, mit lauter Stimme: »Mr Chandler, können Sie mich hören? Mr Chandler!« Der Arzt sah mich an. »Er kommt sicher bald wieder zu sich.«
    Ich nickte. »Sie wissen, dass mein Mann an einer bipolaren Störung leidet?«
    »Das wusste ich nicht, Ma’am«, sagte er ein wenig geistesabwesend, während er etwas in den Computer neben Mickeys Bett eingab.
    »Na ja, ich sage Ihnen das nur, weil er möglicherweise sehr wütend sein wird, wenn er aufwacht.«
    »Tatsächlich?«, fragte der jugendliche Arzt und hob den Blick von seinen Aufzeichnungen.
    »Ja. Ich bin nicht sicher, ob er gestern Abend versucht hat, sich umzubringen. Aber was immer er getan hat, und aus welchen Gründen, wird ihm wieder klar vor Augen stehen, sobald er aufwacht. Er wird sehr wütend auf sich selbst sein und sich wahrscheinlich gedemütigt fühlen, und damit kann er nicht gut umgehen.«
    »Wir werden auf ihn aufpassen, Ma’am.«
    Ich nickte und

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