Tanz auf Glas
zu.
»Ron, ich will dir und Lily meine Tochter anvertrauen, weil ich weiß, dass ihr Mickey nicht ausschließen werdet. Ihr werdet ihm erlauben, Teil ihres Lebens zu sein.«
»Das ist doch wohl selbstverständlich. Wir werden alles tun, worum du uns bittest, Lucy. Aber ist das nicht ein bisschen verfrüht? Wie wäre es, wenn Lil und ich uns erst einmal um das Baby kümmern, bis du wieder gesund bist? Denken wir erst einmal nur so weit, denn wir wissen ja gar nicht, wie es weitergehen wird.«
»Das ist eine gute Idee«, sagte ich, um ihn zu beruhigen. »Aber wenn das Unausweichliche dann geschieht, werdet ihr sie adoptieren?«
Kummer und Tränen standen ihm in den Augen.
»Werdet ihr das tun?«
Er nickte.
Es gab noch so viel zu sagen, aber ich war zu müde. Ron drehte sich zu mir um und zog sanft mein Gesicht an seine Brust. »Ach, Lucy.« Er hielt mich im Arm, und als ich ruhiger wurde, hob er mein Kinn an. »Du weißt, dass wir sie so lieben werden, als sei sie unser eigenes Kind. Aber ich verspreche dir, dass sie ihre richtigen Eltern nie vergessen wird.«
Das war alles, was mein Herz hatte hören müssen. Ich wusste, dass meine Schwester und Ron ihre Sache gut machen würden. Keine Frau hatte sich je so sehr danach gesehnt, Mutter zu sein, wie Lily. Dieses Geschenk konnte ich ihr jetzt machen. Sie würde mein Baby für mich lieben. Und sie würde sich um meinen Mickey kümmern. Sie würde ihm erlauben, sein Kind zu lieben, ohne sich je davon bedroht zu fühlen. Vor allem aber würde Lily mein Kind beschützen, falls es nötig sein sollte. Und sie würde dafür sorgen, dass meine Tochter wusste, wie sehr ich sie liebte.
»Wirst du mit Lily darüber sprechen?«, flüsterte ich. »Wirst du ihr erklären, dass ich es genau so haben will?«
Mein lieber Schwager räusperte sich, doch ich hörte das Schluchzen trotzdem, das er damit unterdrücken wollte. Er nickte.
»Danke, Ron. Ich danke dir.«
Es gab nichts mehr zu sagen. Ich rieb mir den Bauch, und mein Baby antwortete mit einem Tritt. Sie war gesund und stark, daran zweifelte ich nicht. Ich nahm Rons Hand und legte sie auf meinen Bauch. Sie bewegte sich wieder, und eine Träne lief ihm über die Wange.
Später am Abend bemühte ich mich, wach zu bleiben und auf Mickey zu warten. Er war widerstrebend ins Partners gefahren, weil sein Barkeeper aus der Notaufnahme angerufen hatte, wo seine kleine Tochter gerade wegen einer Kopfverletzung genäht werden musste. Mickey hatte mir versprochen, so bald wie möglich zurückzukommen. Das war über zwei Stunden her, und ich döste vor dem Fernseher, als Lily nach einem kurzen Anklopfen hereinkam. Sie hatte fürchterlich geweint. Ihre Nase war leuchtend rot, die Augen so zugequollen, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Sie kam zu mir, und neue Tränen traten ihr in die Augen, als sie sich vor mich hinkniete. Ihr Schmerz war greifbar, und ich sah ihr an, dass sie endlich wirklich akzeptiert hatte, was hier geschah. Ich strich mit der Hand über ihr kurzes Haar.
»Lucy«, wimmerte sie. »Bitte stirb nicht.«
»Okay«, wimmerte ich zurück.
Dann redete keine von uns beiden mehr. Ich sah ihr in die Augen und konnte mir nicht vorstellen, zu wem ich geworden wäre, wenn ich sie nicht zur Schwester gehabt hätte. Und ich konnte mir nicht vorstellen, wer ich ohne sie sein würde. Lily war die Hüterin meiner Geheimnisse und Träume, schon als wir noch kleine Mädchen gewesen waren. Wir hätten zusammen alt werden sollen.
Lily schüttelte den Kopf und kämpfte abermals mit den Tränen. »Ich glaube nicht, dass ich diese Situation aushalten kann«, sagte sie mit zitternder Unterlippe.
»Welche, Lil?«
»Dass ich endlich ein Baby bekomme … aber nur, wenn ich gleichzeitig meine Schwester verliere.«
»Ich weiß. Es tut mir leid.«
»Bist du sicher, dass du es so willst?«
»Was ich wirklich will, kann ich nicht haben, Lil. Der Rest liegt ganz bei dir. Du wirst eine wunderbare Mutter sein.« Ich strich über ihr Kinn, fing ihre Tränen auf.
Sie schmiegte das Gesicht in meine Hand. »Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun soll. Das konnte ich mir noch nie vorstellen.«
»Ich habe gerade dasselbe gedacht.«
»Lu, weißt du noch, wie du auf diesem Baum festsaßest?«
»Ich habe auf einem Baum festgesessen?«
Lily nickte. »Das war im Park. Es waren eine Menge Leute da, aber ich kann mich nicht an den Anlass erinnern, vielleicht das Shad-Grillen. Ich war sieben, glaube ich. Du warst noch ganz klein,
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