Tanz auf Glas
nicht stolz«. Ich hatte es zwar schon gekannt, aber bis zu jenem Tag nicht wahrhaft verstanden. »Nach kurzem Schlaf sind wir des Himmels Erben, und Tod wird nicht mehr sein …« Seit Jahren hatte ich nicht mehr an dieses Gedicht gedacht, doch an diesem Nachmittag fühlten sich Donnes radikale Gedanken wie ein bestärkendes Nicken an.
Ich riss mich aus meinen Gedanken, kniete mich hin und rupfte das braune Gras aus, das das Grab meiner Eltern bedeckte. Rings um den Grabstein versuchte ich mit der Heckenschere Ordnung zu schaffen, aber ich war zu schwach, um sie zu bedienen. Auf den Knien leicht vornübergebeugt, so dass mein Babybauch unter mir hing, konnte ich etwas mehr Luft holen, ohne einen Anfall zu riskieren. Also lehnte ich einfach den Kopf an den kühlen Grabstein und schloss die Augen.
Da ich schon einmal kniete, betete ich um die Kraft, die ich brauchen würde, um die nächsten Minuten zu überstehen. Und obwohl ich normalerweise nicht so beiläufig mit Gott spreche, überkam mich ein Gefühl, das Gottes Antwort auf meine kleine Bitte sein musste. Sie senkte sich wie eine Wolke aus irgendetwas Weichem auf mich herab, dem ich zutrauen konnte, mich einen Moment lang zu halten. Das war seltsam und wunderschön, und ich dachte, dass dieser Frieden ein Geschenk von meinen Eltern sein müsse.
Ich wäre wohl den Rest des Tages auf Knien dort hocken geblieben, das Gesicht an den kühlen Marmor geschmiegt. Doch dann hörte ich eine Autotür zuschlagen. Als ich die Augen öffnete, sah ich Ron den Kiesweg heraufeilen. Er rannte beinahe, und mir wurde klar, dass es für ihn so aussehen musste, als sei ich hingefallen und könne nicht wieder aufstehen.
»Lucy! Was ist passiert?«
»Nichts«, antwortete ich und nahm seine ausgestreckte Hand. »Nur ein kleines Bittgebet.«
Als wir uns gegenüberstanden, fragte er: »Dir geht es nicht gut, nicht wahr, Lucille?«
»Ging mir schon besser.« Ich klopfte mir das Gras von der Hose und nahm Rons Arm. »Setz dich zu mir, Ronald, und halte meine Hand. Ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen.«
»Ronald, oje. Muss wirklich sehr ernst sein«, entgegnete er. Wir gingen zu der Bank hinüber und setzten uns. Ich betrachtete meinen gutaussehenden Schwager. Aus dieser Nähe konnte ich eine Handvoll grauer Strähnen in seinem hellbraunen Haar erkennen.
»Was kann ich für dich tun, Lucy?«
Ich schaute zum Grabstein meiner Eltern hinüber, der frisch geputzt in der Sonne glänzte. »Ich sterbe, Ron.«
Er sagte nichts, doch seine andere Hand drückte meine Schulter.
Ich holte so tief Luft, wie ich konnte. »Ich bin es leid, allen etwas anderes vorzuspielen.«
»Mir brauchst du gar nichts vorzuspielen.«
»Das liebe ich ja so an dir.« Ich legte auch die andere Hand auf seine. »Danke, dass du gekommen bist. Ich muss dich um etwas bitten.«
»Ich werde alles tun, Lucy«, versprach er, ohne zu zögern.
»Du weißt, dass ich Lily sehr liebe«, zwang ich mich fortzufahren.
Ron nickte.
»Sie hat mir alles bedeutet, Ron. Alles.«
Ron nickte mit feuchten Augen.
»Sie ist die perfekte Mutter – die Mutter, die ich gern wäre.«
»Ich weiß.«
Wir schwiegen für ein Weilchen, während ich versuchte, mir die Worte passend zurechtzulegen. Schließlich gab ich es auf und sprach einfach aus, was ich dachte. »Ron, du hast selbst gesehen, wie sich mein Leben aufgelöst und wieder zusammengefügt hat. Du hast Mickey erlebt.«
Er nickte.
»Dir ist klar, wie schwer das für ihn wird.«
»Ich kann mir nicht einmal vorstellen, was er gerade durchmacht.«
»Du und Lily müsst doch schon an mein Baby gedacht haben.«
»Wir denken an euch alle drei, immer.« Rons Stimme war ein Flüstern.
Ich drückte seine Hand. »Ihr wisst bestimmt, dass ihr in jedem Fall eine wichtige Rolle im Leben meiner Tochter gespielt hättet.«
»Worauf willst du hinaus, Lu?«
Ich sah meinen herzensguten Schwager an. »Ron, mir läuft die Zeit davon, und Mickey glaubt, er würde das ohne mich nicht schaffen.«
»Was schaffen?«
»Unsere Tochter großzuziehen.«
»Oh.«
»Ich habe eine riesengroße Bitte an euch.«
»Lucy …«
»Nein, hör mir zu.
Wir
– Mickey und ich – möchten, dass du und Lil unser Baby adoptiert. Aber das Ganze ist ein wenig kompliziert.«
»Lucy, wovon sprichst du?«
»Von etwas ziemlich Einmaligem. Einer Dreiecksadoption – du, Lily und Mickey.«
»Wow.«
»Ich weiß.«
»Lucy, bist du sicher, dass wir jetzt darüber reden müssen?«
»Mir bleibt nicht
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